Wissenschaftsreportage Technik Eva Wolfangel

 

Das hier ist eine ausführlichere Version meines Kommentars, der am 29.8.2024 in der ZEIT erschienen ist.

 

Pavel Durov hat mit seinem Messenger viel Schaden angerichtet. Aber das Verfahren in Frankreich könnte den Schaden noch vergrößern.

 

Auf das, was am Samstag Abend in Paris passiert ist, gibt es zwei sehr verschiedene Sichtweisen. Manche finden, die Verhaftung von Pavel Durov  ist eine gute Nachricht im Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kriminalität, während andere unter dem Hashtag #freePavel das Ende der Meinungsfreiheit gekommen sehen. Durov betreibt den Messenger Telegram, in dem sich zwar einerseits Oppositionelle in Diktaturen organisieren und für Demokratie kämpfen, der sich aber auch zu einem Treffpunkt von Demokratiefeinden, Rechtsradikalen und Pädokriminellen entwickelt hat.

 Angesichts der Anklagepunkte die die französische Staatsanwaltschaft am Montag Abend veröffentlichte, zeigt sich aber eine weitere große Gefahr: Alles deutet darauf hin, dass es auch darum geht, die Anwendung von Kryptographie - in diesem Fall die verschlüsselte Kommunikation - zu kriminalisieren.

Drei der insgesamt zwölf Punkte, um die es in dem Verfahren laut der Pressemitteilung gehen soll, betreffen Verschlüsselung. Bei den anderen geht es unter anderem um den Besitz und die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern, um Beihilfe zu Drogenschmuggel, Geldwäsche und Cybercrime sowie darum, dass Durov nicht mit den Behörden kooperierte und keine Daten mit ihnen teilte.

 Für letzteres wird Pavel Durov in manchen Kreisen gefeiert - und das wäre richtig, wenn er das tatsächlich getan hätte: Nicht mit den Behörden zu kooperieren, ist der Job eines wirklich sicheren Messengers. Dabei ist es unabdingbar, auch mit "den Guten" (die je nach Perspektive andere sein können) nicht zu kooperieren, denn sonst sind die Nutzerinnen und Nutzer von den politischen Ansichten des Betreibers abhängig.

Wie schnell das nach hinten losgehen kann, kann man gerade am Fall Durov gut nachvollziehen: Schließlich hat dieser nicht nur wissentlich und aktiv darauf verzichtet, die Kommunikation auf Telegram technisch sicher zu gestalten, sondern offenbar auch seine Meinung geändert, ob und mit welchen Staaten er kooperiert. So erzählt er zwar gerne, wie er Russland verlassen musste, weil er sich weigerte, dem Regime einen internen Zugang zu verschaffen - woraufhin Telegram in Russland immer wieder gesperrt wurde.

 

Aber 2020 gab es plötzlich eine Einigung mit der russischen Regierung. Durov schweigt über die Konditionen des Deals, aber es wäre erstaunlich, wenn er Russland nicht mit Daten aus seinem Messenger entgegen gekommen wäre. Und als die deutsche Innenministerin Nancy Faeser 2022 damit drohte, Telegram auch in Deutschland über die Appstores abschalten zu lassen, übergab Durov auch ihr Daten von Nutzern.

 

Hätte der russische Unternehmer einen sicheren Messenger gebaut, hätte selbst er zu diesen Daten keinen Zugang gehabt. Aber Durov hat alles andere getan: er hat Telegram als "sicher" beworben und gleichzeitig technisch verhindert, dass die meisten seiner Nutzer ihre Kommunikation schützen können. Denn wenn nun argumentiert wird, dass die Verschlüsselung auf Telegram Behörden daran hinderte, die Aktivitäten Rechtsradikaler oder Pädokrimineller zu verfolgen, ist das nur ein kleiner Teil der Wahrheit: Tatsächlich ist auf Telegram nur ein verschwindend geringer Teil der Nachrichten verschlüsselt. Die meisten Nutzerinnen und Nutzer wissen nicht einmal, dass ihre Chats nicht verschlüsselt sind - weil die entsprechende Funktion gut versteckt ist. Gruppenunterhaltungen lassen sich gar nicht verschlüsseln.

 

Angesichts einer kaum geschützten Schnittstelle, über die Behörden und alle anderen Interessierten zudem in großem Stil die unverschlüsselten Daten aus Chats herunterladen und auswerten konnten, mutmaßen manche IT-Sicherheitsforschende gar, dass Telegram eine Operation des russischen Geheimdienstes sein könnte.

 

Sollte Pavel Durov tatsächlich lautere Motive haben, muss er sich am Ende zwischen zwei Dingen entscheiden: Ob er einen wirklich sicheren Messenger machen will - dann kann er sich zum Beispiel an Signal ein Beispiel nehmen, die Verschlüsselung als Default-Fall implementieren und zwar sowohl für Einzelchats als auch für Gruppen, sowie diverse Fehler ausmerzen und nicht mit Behörden kooperieren (zugegeben, es fehlt viel für diese Option). Oder ob er ein soziales Netzwerk machen will - dann unterliegt er allerdings der aktuellen Regulierung für soziale Medien, unter anderem wohl auch dem DSA in Europa. Beides gleichzeitig ist eine Sackgasse.

 

Eines ist jedenfalls sicher: Pavel Durov taugt nicht als Held für die Meinungsfreiheit, im Gegenteil. Wenn nun ausgerechnet in einem Verfahren gegen jemanden, der die sichere Kommunikation mit Füßen getreten und Regimekritiker in Gefahr gebracht hat, Verschlüsselung kriminalisiert wird, dann ist das tragisch. Denn Verschlüsselung schützt die Meinungsfreiheit, sie kann Leben retten, und sie schützt auch private Kommunikation vor Spionen und Datenkraken.

Natürlich ist es schwer auszuhalten, wenn Pädokriminelle und Rechtsradikale sich jene Strukturen aneignen, die auf der anderen Seite die Demokratie schützen sollen. Aber das lässt sich nicht verhindern. Man kann das eine nicht ohne das andere haben. Auf Verschlüsselung zu verzichten, würde aber einen noch größeren Schaden anrichten. Eine Demokratie braucht vertrauliche Kommunikation.