Technology Review, September 2016
Schick, unauffällig, cool, exakt und kompatibel: das perfekte Wearable müsste eine eierlegende Wollmilchsau sein. Um die kleinen tragbaren Computer steht es weniger rosig, als es auf den ersten Blick erscheint.
Ausgerechnet Wearable-Pionier Thad Starner hat sich verrechnet. Smartphones würden sich bald überholt haben, sagte er vor einigen Jahren im Brustton der Überzeugung, als er die Googlebrille mit entwickelte. „Sie sind für mich persönlich ein Rückschritt.“ Die Zukunft seien Wearables, Kopfdisplays beispielweise wie die Googleglass oder sein selbstentwickeltes System, das er seit mehr als 20 Jahren nutzt: eine globige Brille, verbunden mit einem über die Jahre immer kleiner werdenden Computer, den er irgendwo am Körper trägt. Aber irgendwas ging schief an diesem Plan: die Googlebrille floppte im Konsumentenbereich, das Smartphone erfreut sich bis heute großer Beliebtheit.
Wer den Zahlen der großen Beratungsgesellschaften folgt, könnte tatsächlich zur Meinung gelangen, dass das Smartphone bald durch Wearables aller Art abgelöst wird. Aber die Zahlen sind bei genauem Hinsehen trügerisch: Die Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers pwc diagnostiziert gar ein Wachstum im Bereich der Smartwatches auf dem deutschen Markt von 614 Prozent von 2013 auf 2014. Kunststück – Smartwatches waren 2013 noch quasi unbedeutend für Konsumenten: Samsungs Galaxy Gear kam im September 2013 auf den Markt und gilt als eine der ersten Uhren, für die sich auch Kreise jenseits von Geeks interessierten – und schon im November musste Samsung zugeben, bei den Zahlen geschummelt zu haben: statt der verkauften wurden verschiffte Geräte angegeben. 2015 gaben 17 Prozent der Befragten einer PwC-Online-Umfrage an, bereits ein Wearable zu besitzen. Wenn man bedenkt, dass jedes Fitnessarmband als Wearable zählt und manche Krankenkassen diese gar verschenken, erscheint diese Zahl erstaunlich klein. „Bei den meisten landen diese sowieso nach ein paar Monaten in der Schublade“, sagt Gerhard Tröster, Leiter des Elektronik-Labors der ETH Zürich. Das große Versprechen der Wearables scheint ausgerechnet beim meistverkauften Produkt ihrer Klasse nicht aufzugehen: die kleinen Computer fügen sich nicht so unauffällig in den Alltag ein, dass wir sie ständig dabei haben. Sie fügen sich noch unaufälliger in die Schubalde ein.
„Die Quantified-Self-Welle wird schnell wieder abebben“, prognostiziert deshalb Tröster, Fitnessarmbänder sind aus seiner Sicht kaum für den Massenmarkt geeignet. „Vielleicht ist das Smartphone schon das perfekte Wearable, wir haben es ja immer in der Hosentasche.“
Die Fitnessarmbänder sind es dann wohl auch, die den Anbieter Fitbit zumindest im vergangenen Jahr noch Marktführer bei Wearables sein ließen – dicht gefolgt von Apple. Aber auch die laut Internationel Data Corp IDC knapp 12 Millionen verkauften Smartwatches dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Markt nicht so rosig ist, wie es sich die Hersteller wünschen: so gingen die Verkaufszahlen der iWatch vor Weihnachten kaum merklich nach oben (fünf Prozent im vierten Quartal): was nicht unter dem Weihnachtsbaum punktet, gilt als wenig erfolgreiches Produkt.
Woran liegt es? Trotz aller hochtrabenden Pläne hat sich das Display der intelligenten Uhren in der Praxis als zu klein erwiesen, um damit wirklich interagieren zu können. Die meisten funktionieren nur in Kombination mit einem Smartphone – was diesen Auftrieb verschafft. Gerade die Steuerung ist eine der ungelösten Herausforderungen dieser künftigen uns allseits umgebenden kleinen Computer: es fehlt die Tastatur. Viele Hersteller erhoffen sich eine Lösung durch Sprachsteuerung. Ob das bei den Nutzern ankommt ist fraglich: noch gilt es als peinlich, in der Öffentlichkeit Sprachbefehle a la „Ok Google“ von sich zu geben.
So blieb für die Smartwatch keine besonders große Lücke. Überspitzt gesagt besteht ihre Funktion vorallem aus in einer Art erweiterter Notifikation: anstatt nur auf dem Smartphone über eingehende Mails informiert zu werden, finden Watch-Nutzer diese Info jetzt am Handgelenk. Viele stellen sich die Frage: soll ich dafür mehrere hundert Euro ausgeben?
„Die Smartwatch wird sich nicht durchsetzen“, sagt Startup-Gründer Achim Hepp, der sich seit vielen Jahren mit Wearables beschäftigt, „sie ist ein industriegetriebenes Thema.“ Auch er sieht keinen eindeutigen Anwendungsfall, der den Nutzern einen echten Benefit bringt. Dazu kommt der Trend gerade unter jüngeren Nutzern, ihr Smartphone und alle damit verbundenen Geräte in sozialen Situationen nicht zu nutzen: sie wollen nicht, dass sich ihre digitalen Assistenten aufdrängen.
Nicht zuletzt haben die Smartphones über die Zeit aufgerüstet: die Sensoren werden immer besser und vielfältiger. Die Betriebssysteme werden zunehmend zugunsten von Spezialinteressen einzelner Zielgruppen erweitert, so dass Herzkranke beispielsweise ihren Puls und Diabetiker ihren Blutzucker messen können. Die dazu nötigen Erweiterungen fungieren nur als verlängerter Arm des Smartphones. „Als Patient trägt man das gerne, weil man einen echten Nutzen hat“, sagt Oliver Amft, Professor für Sensortechnologie an der Uni Passau, „anders als die Gadgets, die nach ein paar Monaten in der Schublade landen.“ Das macht das Smartphone allerdings auch zu einem noch perfekteren Spion: Der Psychologe Philip Santangelo vom Karlsruher Institut für Technologie erforscht aktuell, inwiefern allein mittels der Daten, die ein Smartphone aufzeichnen kann, Symptome des Borderline- Syndroms erkannt werden können. „Menschen sind schlecht darin einzuschätzen, wie stark ihre Stimmung in den vergangenen Wochen geschwankt ist“, erklärt Santangelo. „Wenn so etwas über das Smartphone im Hintergrund laufen könnte, wäre das eine große Erleichterung.“ Algorithmen könnten aus Daten wie Bewegungen, Umgebungs-Licht und Lautstärke, Kalendereinträgen und Anrufen berechnen, wann sich eine Krise anbahnt und eine Warnung an den Therapeuten schicken.
Das wiederum stärkt eine weitere Sorge, die den Wearables das Leben zusätzlich schwer machen: Gerade im Gesundheitsbereich warnen immer mehr Experten davor, Daten allzu leichtfertig herauszugeben. Immer mehr IT-Experten vertreten die Ansicht, dass alles, was durchs Netz geht nicht endgültig zu schützen ist. Verbraucher könnten also in Zukunft durchaus sensibler werden, wenn Geräte allzu viele Daten aufzeichnen und sich die Frage stellen: Was habe ich davon? Die Antwort auf diese Frage fällt derzeit immer häufiger dann negativ aus, wenn Nutzer Plattformen wechseln wollen: jeder Anbieter hat seine eigene Lösung, sein eigenes Format dafür. Daten sind untereinander kaum kompatibel. Nichteinmal die viel beschworene Gamification kann sich durchsetzen: während viele Nutzer beschreiben, dass sie das Selbsttracking wie eine Art Wettbewerb betreiben und sich untereinander anstacheln, beispielsweise doch noch ein paar Kilometer zu joggen, geht auch das nur, wenn die Mitstreiter die gleiche Plattform nutzen.
Auch eine weitere Hoffnung haben viele Wearables von Fitnesstrackern bis zu intelligente Uhren bitter enttäuscht: die meisten sind nicht klinisch getestet und lagen in Vergleichsversuchen häufig weit daneben. „Was habe ich von einem Messergebnis, von dem ich nicht weiß, ob es richtig ist?“ sagt Kristof Van Laerhoven, Professor für eingebettete Systeme an der Universität Freiburg. Experten aus dem Gesundheitsbereich finden das nicht weiter verwunderlich. „Am Handgelenk kann man vieles nicht so genau messen“, sagt Jörg Ottenbacher, Geschäftsführer beim Karlsruher Startup Movisens, das Trackinggeräte für die physiologische Forschung entwickelt. „Bei den klassischen Fitnesstrackern verspricht das Marketing häufig einen Nutzen, der nicht eingehalten werden kann.“ Eine mögliche Lösung, die Movisens mit entwickelt hat: ein Pflaster, das Nutzer auf der Brust tragen und das ein Elektrokardiogramm (EKG) erstellt, die Beschleunigung in alle drei Raumrichtungen, die Temperatur und den Luftdruck misst. Nutzer füllen zuvor einen Fragebogen aus und tragen das Pflaster dann für 48 Stunden. Alle Daten werden auf dem Pflaster gespeichert und später ausgelesen und ausgewertet, sie gehen nicht durch den Äther. Mit der Auswertung erhalten die Nutzer Tipps, was sie an ihrem Lebensstil zugunsten ihrer Gesundheit verändern können.
Das ist natürlich weit entfernt von der Vision, die das Marketing der großen Wearable-Hersteller gerne verbreitet: schicke kleine Geräte, die uns durchs Leben begleiten, unsere Probleme lösen und dabei möglichst wenig auffallen. Ein Pflaster zu tragen ist nicht so richtig sexy. Folgerichtig haben Forscher in der Vergangenheit immer wieder damit experimentiert, kleine Computer in Kleidungsstücke oder gar direkt in den Stoff einzuarbeiten. Doch trotz aller Fortschritte in biegbarer Elektronik bleiben die Kleidungsstücke ein Stück weit steif. Sollen phyisologische Daten gemessen werden, müssen sie eng am Körper anliegen: das ist unbequem. Zudem muss die Elektronik waschbar sein, was häufig Probleme verursacht, und nicht zuletzt muss das Problem der Energieversorgung gelöst werden: schließen wir unsere Shirts bald an die Steckdose an?
Der nächste logische Schritt ist, die Elektronik unter die Haut zu bringen: dort ist sie genau an der richtigen Stelle, um physiologische Daten zu messen – und das modische Design spielt keine Rolle. Und auch wenn das heute noch ein wenig futuristisch erscheint, setzen Experten große Hoffnungen in Implantate. So neu ist die Idee genaugenommen auch nicht: „Ein Herzschrittmacher ist auch ein Wearable“, sagt Achim Hepp. Gerade chronisch Kranke werden aus seiner Sicht von Implantaten profitieren, die deren Gesundheit überwachen und kritische Werte direkt an den Arzt schicken. „Smartphones werden sich dann über die Software dazu definieren und die Konnektivität mit Implantaten.“ Bis die intelligente Kontaktlinse ganze Filme in unsere Augen projeziert, sei allerdings noch ein weiter Weg. Kleinere Informationen wie beispielsweise Pfeile zur Navigation seien hingegen schon heute realistisch.
Sollten Implantate an Bedeutung gewinnen, ist das Smartphone vermutlich endgültig vor dem Untergang gerettet: diese brauchen schließlich eine Bedienplattform außerhalb des Körpers. Wenn sich die Hersteller dann noch auf eine einheitliche Sprache der vielen kleinen Geräte einigen, dann erobern Wearables und deren innerkörperliche Äuqivalente womöglich auch noch einen sicheren Platz auf dem Markt.