Bild der Wissenschaft 7/2015 (Auszug)
In der Stadt der Zukunft organisieren Computer den Alltag. Wie sinnvoll ist das?
Intelligente Parkautomaten berechnen den Preis abhängig von der Nachfrage nach Parkplätzen, elektronische Verkehrsschilder passen Geschwindigkeitvorgaben Wetter- und Verkehrsverhältnissen an, öffentliche Mülleimer teilen der Stadtverwaltung mit, wann die Tonne voll ist - und nur dann macht sich das Müllauto auf den Weg, was Kosten spart: Das sind erste bestehende Ansätze der vernetzten Stadt der Zukunft, in der nahezu alle Vorgänge von Computern entschieden werden sollen. Denn in unserem alltäglichen Leben fallen immer mehr Daten an, auf deren Grundlage wir unser Zusammenleben effektiver organisieren könnten. Bürger sind schon heute dank ihrer Smartphones wandelnde Sensoren: Die Geräte messen, wer sich in welcher Geschwindigkeit wo bewegt, sie können Geräusche und Vibrationen registrieren und vieles mehr.
All diese Sensoren sollten vernetzt und durch weitere ergänzt werden, fordern Zukunftsforscher. „Wir haben Millionen von Augen und Ohren auf der Straße“, formuliert es Michael Flowers, Chefanalytiker von New York City. Man müsste diese Daten zusammenführen und auswerten, um den Verkehr zu reduzieren, die Luftqualität zu verbessern, Unfälle zu reduzieren, so seine Vision, kurz: „Schneller, sauberer und sicherer zu leben.“ Eine App teilt beispielsweise der Stadt Boston mit, wenn eine Straße ein Schlagloch hat – ermittelt allein durch die Sensoren des Handys.
Erste Ansätze einer solchen Vernetzung gibt es auch in Europa. Vorbild vieler Projekte ist die spanische Stadt Santander, die in den vergangenen Jahren zum EU-geförderten Smart-City-Labor wurde: 12.000 Sensoren installierten Forscher der Universität Cantabrien in der 180.000-Einwohner-Stadt. Dort „melden“ sich freie Parkplätze bei Autofahrern, der Stadtpark gibt im Rathaus Bescheid, wenn die Erde zu trocken ist, und große Kreuzungen schlagen Alarm, wenn Schadstoffe oder Lärm überhand nehmen. Auch in Deutschland wird im aktuellen Wissenschaftsjahr unter dem Motto „Stadt der Zukunft“ viel zum Thema gefoscht. Allerdings gibt es hierzulande keine derart radikale Lösung wie in Santander. Das sei aber auch nicht erstrebenswert, sagt Karsten Hunger von der Deutschen Kommission für Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (DKE): „Smartcity heißt nicht unbedingt, dass alles miteinander vernetzt ist.“ Für intelligenten Strom müsse man beispielsweise nicht alle Gebäude einer Stadt miteinander vernetzen. „Man muss voneinander wissen und voneinander profitieren können“, sagt Hunger – und das ist in Deutschland schon schwierig genug zu oganisieren.
Denn hierzulande sind die Abläufe in einer Stadt meist noch streng nach Abteilungen getrennt. Deshalb kommt es vor, dass ein Unternehmen ein Loch gräbt, um Wasserrohre zu erneuern – und wenige Monate später der Energieversorger die gleiche Stelle aushebt, um Kabel zu verlegen. „Die Prozesse sind unflexibel, weil jeder nur in seinem Fachgebiet denkt“, sagt Hunger. Parallel zur technologischen Entwicklung müssen wir lernen übergreifend zu denken. Smart City heißt auch smarte Zusammenarbeit.
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Zusammen mit der amerikanischen Technikfirma Cisco wollen die Verantwortlichen die Hamburger Hafencity in eine smarte Stadt verwandeln: Sensoren zeigen dann freie Parkplätze an und schicken die Infos direkt auf die Handys der Autofahrer – abhängig davon, wie viele gerade wo einen Parkplatz suchen. Container „wissen“ in Zukunft dank GPS-Sensoren, in welcher Reihenfolge sie idealerweise auf welches Schiff in Richtung ihres Bestimmungsortes verladen werden. Das erhöht die Umschlagmöglichkeiten am Hafen, da angesichts maschineller Optimierung noch effizienter gearbeitet und beladen werden kann. 150 Kameras überwachen die Verkehrssituation und sorgen dafür, dass ein drohender Stau künftig verhindert werden kann, bevor er entsteht: fahren die Autos an einer Stelle zu dicht, wird diese Information in ein Verkehrsleitsystem übertragen, das in Echtzeit alternative Routen berechnet und den Verkehr mittels intelligenter Anzeigetafeln entsprechend steuert. Ob diese Daten ausreichen, um jeden Verkehrskollaps einer Großstadt zu vermeiden, wird die Zukunft zeigen. Aber bei diesen Daten wird es nicht bleiben: Neben der Hafencity sollen in Hamburg elf weitere Pilotprojekte mit Cisco umgesetzt werden, unter anderem intelligente Straßenlaternen und Ampeln, die alle über das Internet miteinander verbunden werden. Die Ampeln erhalten Informationen aus den Daten aller verfügbaren Kameras und Sensoren und regeln den Verkehr optimiert, so dass im Durchschnitt alle möglichst effizient ans Ziel kommen und keiner länger als nötig an einer langen Rotphase warten muss. Je mehr Daten in so ein System einfließen, umso bessere Entscheidungen können getroffen werden, um die Lebensqualität der Bürger zu steigern, hofft Bürgermeister Olaf Scholz.
Auch in Berlin will Cisco die intelligente Vernetzung vorantreiben: Auf dem dortigen Euref-Campus, eine frühere Industriebrache, auf dem einst der Gasspeicher Schöneberg stand, investiert der US-Konzern 21 Millionen Euro in sein neues Innovationszentrum. Dort sollen smarte Prozesse in der Produktion, im Verkehr sowie in der Logistik erforscht und erprobt werden. Berlin erhofft sich so eine Vorreiterrolle in Deutschland und nicht zuletzt große Chancen das zugehörige Wagniskapital, der Cisco in hiesige Startups investieren will, die zur Vision der vernetzten Welt beitragen. Dass Cisco dabei keineswegs selbstlos handelt, sondern sich einen Platz in den Märkten der Zukunft sichern will, zeigt deren Prognose: Laut einer Studie geht der Konzern in den nächsten Jahrzehnten davon aus, dass die Wirtschaft bis zu 14,4 Billionen Dollar Mehrwert weltweit durch das Internet der Dinge erwirtschaften kann, 700 Milliarden davon in Deutschland. Allein die gesteigerte Effizienz, mit der die Industrie 4.0 dank der Vernetzung produzieren kann, macht einen Löwenanteil davon aus.
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von Eva Wolfangel
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