Stuttgarter Zeitung, 2. März 2015
Google stellt auf dem Mobile World Congress in Barcelona sein „Project Ara“ der Öffentlichkeit vor. Solchen Baukasten-Smartphones wird eine große Zukunft vorhergesagt. Jeder Nutzer kann sie individuell nach seinen Bedürfnissen zusammenstellen. Die erhoffte Trendwende zu weniger Elektroschrott bringt das aber wohl nicht.
Dave Hakkens Schlüsselerlebnis war ein Reparaturversuch: Der niederländische Designer war froh als er entdeckte, dass in seiner kaputten Digitalkamera nur ein kleines Bauteil ausgetauscht werden musste. „Das war einfacher gesagt als getan“, sagt er heute desillusioniert. Nirgends gab es das Teil zu kaufen, niemand konnte die Kamera reparieren. „So wachsen die Berge an Elektroschrott.“ Noch häufiger seien es Smartphones, die wegen eines defekten Teils komplett entsorgt werden müssten. Der Umweltschützer und Technologiefan Hakkens ärgerte sich nicht lange, sondern startete im September 2013 „Phonebloks“ (https://phonebloks.com/en), eine Kampagne für ein modulares Smartphone, die innerhalb weniger Wochen zig Millionen Anhänger im Netz fand. Sie alle teilen die Forderung Hakkens, ein zusammensteckbares Smartphone zu entwickeln, dessen kaputte Teile vom Nutzer einfach ausgetauscht werden können. Viele Hacker unter ihnen erklären sich bereit, ein solches Produkt mit zu entwickeln.
Das machte Druck auf Google: Parallel zu Hakkens hatte der Konzern offenbar ebenfalls an einem modularen Konzept gearbeitet. Als klar wurde, wie groß die Phoneblok-Bewegung ist, ging Google mit seinem „Project Ara“ an die Öffentlichkeit und bot an, die Community mit einzubeziehen. Unter dem kritischen Blick Hakkens und seiner Unterstützer arbeitet Google seither an einem modularen Smartphone, das auf dem Mobile World Congress in Barcelona erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden soll.
Aus den Entwicklerkonferenzen, zu denen Google zuletzt im Januar eingeladen hatte, weiß man schon recht viel über das Projekt: Der aktuelle Prototyp „Spiral 2“ besteht aus einem sogenannten Endoskelett, einer Basis aus Aluminium. Über Elektromagnete sollen die ansteckbaren Module wie Kameras, Mikrofone, Prozessoren aber auch medizinische Messgeräte an der Basis gehalten werden. Mit der magnetischen Verbindung ist Google eine Überraschung gelungen: Kritiker hatten im Vorfeld vermutet, ein modulares Smartphone müsse wegen der lösbaren Anbindung von Modulen an die Basis relativ groß sein.
Denn die Miniaturisierung der mobilen Geräte wird aktuell vorallem dadurch erreicht, dass die Bauteile miteinander verklebt werden. Das wiederum ist Umweltschützern ein Dorn im Auge: Dadurch lassen sie sich für Reparaturen und Recycling kaum trennen. Tester der ersten Project-Ara-Prototypen zweifeln allerdings, ob die Magnete wirklich zukunftstauglich sind: Sie verbrauchen viel Energie und verkürzen daher die Akkulaufzeit. Noch hält der Akku keinen ganzen Tag durch. Zudem sei fraglich, ob ihre Kraft stark genug sei, dass die Module nicht herausfielen. (http://www.golem.de/news/modulares-smartphone-googles-neuer-project-ara-prototyp-1501-111720.html)
Doch auch wenn sich ein modulares Smartphone besser reparieren und recyceln lässt, sind Umweltschützer nicht sicher, ob Project Ara tatsächlich die Lösung für nachhaltige Mobiltechnologie ist. „Es ist offensichtlich, dass in einem modularen Smartphone mehr Materialien stecken als in einem schlanken, integrierten Smartphone“, sagt Siddharth Prakash, Experte für nachhaltige Produkte beim Freiburger Ökoinstitut. Beispielweise könne die modulare Bauweise mehr Halbleiter-Chips nötig machen, mehr Gold für die Kontakte oder mehr Lötmetalle. „Man hat also erst mal einen Mehraufwand an Ressourcen, aber keine Umweltentlastung.“ Zentral für die Nachhaltigkeit sei, dass Geräte länger genutzt würden. Allerdings ziehe beispielsweise der Tausch einer Kamera durch eine mit besserer Auflösung andere neue Komponenten nach sich: Meist werde dann auch ein höherer Speicherbedarf und damit ein schnellerer Prozessor benötigt.
Damit könnte der modulare Aufbau den Konsum noch mehr ankurbeln und unterm Strich genau das Gegenteil von dem erreichen, was sich die Basisbewegung rund um die Phonebloks-Initiative erhofft. Wenn es einfacher und billiger als heute ist, stets die neueste Kamera im Handy zu haben, warum sollten die Nutzer dann darauf verzichten? „Diesen Bedarf hat die Industrie geschaffen“, sagt Dave Hakkens. „Manch einer will vielleicht statt einer Kamera lieber ein mobiles Blutzucker-Messgerät haben, weil er Diabetes hat.“ Mit Phonebloks, so Hakkens Vision, kann jeder Nutzer genau jene Komponenten bekommen, die er braucht. Nichts wird unnötig produziert – und das diene der Umwelt.
Hakkens Partner Google schielt allerdings genau darauf: den Bedarf nach Neuem anzukurbeln. Im aktuellen Video (https://www.youtube.com/watch?v=intua_p4kE0) wirbt der Konzern dafür, dass Kameras jederzeit gegen bessere getauscht werden können und die Module den Nutzern„grenzenlose Möglichkeiten“ eröffneten. Auch neue Kunden will Google damit ansprechen. „Fünf Milliarden Menschen haben noch kein Smartphone“, schreiben die Projektverantwortlichen auf der Internsetseite des Projektes Ara. Und ergänzen beiläufig, dass Project Ara die Welt erobern soll: „Exklusiv gestaltet für 6 Milliarden Menschen.“
Googles mobile Welteroberung soll schon in der zweiten Jahreshälfte in Puerto Rico starten: Dort will der Konzern testen, ob und wie ein modulares Smartphone bei den Nutzern ankommt. Zumindest einzelne Komponentenhersteller sind enthusastisch: „Modulare Telefone werden das Smartphone-Geschäft auf eine Art verändern wie Apps dies taten“, sagt Luiz Sosa, Firmenchef des Handyherstellers Yezz der Nachrichtenseite CNet (http://www.cnet.com/news/google-taps-yezz-as-module-provider-for-project-ara/). Yezz hat sich einen Namen für kostengünstige Smartphones für die Masse gemacht und nach eigenen Angaben bereits etwa 100 Module für Project Ara entwickelt, die ebenfalls in Barcelona vorgestellt werden sollen.
Dave Hakkens will diese Entwicklung weiterhin kritisch beobachten. Dass er in jüngster Zeit auch begeisterte Videos über das Project Ara drehte (/https://www.youtube.com/watch?v=khBKp70KdpU), will er nicht als mangelnde Distanz betrachtet wissen: „Wir arbeiten nicht für Google und wir lassen uns nicht um den Finger wickeln.“ Ein Jobangebot von Google habe er einst ausgeschlagen, weil es ihm um die Sache gehe. Und die lasse sich als Unabhängiger besser vorantreiben. Die Phonebloks-Initiative ermuntere schließlich auch andere Unternehmen, Smartphones zu entwickeln und hofft, dass der Wettbewerb unter den Anbietern zu besseren modularen Geräten führt – vom Handy, über den Laptop bis zur Waschmaschine. „Wir wollen kein neues Unternehmen gründen, sondern die Einstellung der Bestehenden verändern“, sagt Hakkens.
Google sieht den Kontakt mit Hakkens etwas nüchterner. „Er macht tolle Videos über den Fortschritt von Ara“, beantwortet der Konzern die Frage nach der Zusammenarbeit - und verliert kein Wort über eine geänderte Einstellung zur Nachhaltigkeit mobiler Technologie. Hakkens sieht das gelassen: „Zumindest hat der Verbraucher dann die Wahl, ob er die Umwelt schützen will.“
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Weitere modulare Smartphones
Puzzlephone: Ein finnisches Unternehmen entwickelt ein Baukasten-Handy, das aus drei Teilen besteht: das Rückgrat bildet den Rahmen, Display und Lautasprecher, Akku und Sensoren sind das Herz, und das Hirn besteht aus Prozessor und Speicher. Alle drei Bestandsteile sollen problemlos vom Kunden ausgetauscht werden können. Es soll noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.
Vsenn: Das finnische StartUp-Unternehmen Vsenn überraschte erst kürzlich mit seiner Ankündigung, bereits im März ein modulares Smartphone auf den Markt bringen zu wollen. Kunden könnten nicht nur zwischen verschiedenen Display-Größen, Prozessoren und Speichern, sondern auch das Betriebssystem wie Firefox OS oder Ubuntu frei wählen. Letzteres macht das Projekt einmalig auf dem Markt.
von Eva Wolfangel