Technology Review 4/2015 - Auszug
Thad Starner trägt seit mehr als 20 Jahren einen Computer am Körper. Ohne ihn fühlt er sich unselbstständig. Und das wird uns allen eines Tages auch so gehen, prophezeit er.
Ein Mann, der nach zwei Jahren noch jedes Wort eines Gesprächs weiß, ist genial, sehr verliebt oder ein Cyborg. Thad Starner ist letzteres. Der Pionier für Wearable Computing trägt seit 22 Jahren einen Computer am Körper so selbstverständlich wie andere ihre Kleider. Früher in Form eines Kastens an der Hüfte, einer klobigen Displaybrille und eines Twiddlers in der Hosentasche, einer Tastatur, die er blind bedienen kann. „Der Computer ist Teil von mir geworden, ich bin eine Art Cyborg“, sagt er. Mit seinem System hat er einst seine Dissertation beim Spazieren geschrieben, später bereitete er seine Vorlesungen auf dem Büro-Sofa liegend vor. „Wenn Studenten hereinkamen dachten sie immer, ich schlafe“, erinnert er sich lachend.
Im Sommer 2013 sieht man ihm den Cyborg nicht an. In Hemd und Jeans sieht er eher aus wie ein Banker am Casual Friday. Und die Googlebrille auf seiner Nase wirkt im Vergleich zu seinem alten System fast stylisch. Nur den Twiddler hat er eingehackt, ohne den kann er nicht. Er sitzt mir im Cafe gegenüber, erzählt und lacht und wendet den Blick kein einziges Mal ab. Er ist aufmerksam, höflich und wirkt sehr präsent. Bis er beiläufig erwähnt, dass er das Gespräch protokolliert. Das mache er immer, reagiert er auf irritierte Nachfragen. So könne er beim nächsten Treffen direkt anknüpfen und wisse obendrein mit einem Klick, wer ihm gegenüber sitze, ob jener Kinder habe und was sonst so interessant sein könnte. Was sei daran denn verwerflich? Politiker hätten doch auch Assistenten, die ihnen ständig etwas einflüsterten. Und, mal ehrlich, dieses Hantieren mit Zettel und Stift, er zeigt auf mich, sei doch ziemlich umständlich. Ich fühle mich irgendwie unpassend unerweitert.
Und tatsächlich: Als wir uns 2015 erneut sprechen, weiß er noch jedes Wort von damals. Das macht Starner einerseits zum angenehmen Gesprächspartner: keine Wiederholungen, ein dichtes Gespräch, zumal er mit einer unglaublichen Geschwindigkeit spricht. Andererseits macht ihn das auch ein wenig unheimlich. Wer weiß, was er noch im Hintergrund recherchiert? Ebenso wie in jenem berühmten Video von 1997, als der junge Starner - damals noch mit langen Haaren, Vollbart und riesiger Brille mit Display - im Fernsehsender CBS behauptet, jede Frage beantworten zu können. Der Moderator fragt ihn nach Baseballstatistiken – ein Thema, von dem Starner keine Ahnung hat. Er überspielt das, während er unbemerkt im Internet recherchiert, und rattert dann die Ergebnisse herunter. Starner will damit die Menschen vom Wearable Computing überzeugen in einer Zeit, in denen das Internet noch kaum einer kennt.
Zwei Bekannte erzähltem ihn nach der Sendung von ihrer Idee: die Internetsuche könne effizienter sein, wenn die Ergebnisse individuell gerankt werden. Starner ermuntert sie: Gerade mit dem kleinen Display vor Augen wäre es toll, wenn die ersten Suchergebnisse Treffer seien. „Damals kannte die beiden noch keiner“, sagt Starner und grinst: „Das waren Larry Page und Sergey Brin.“. Viele Jahre später – Starner ist inzwischen Professor am Georgia Institute of Technology - kommen die beiden erneut auf ihn zu: Ob er bei der Entwicklung einer intelligenten Brille helfen wolle? Es ist sein Traum, er sagt zu. Starner nimmt sich ein Sabbatical und steigt als Entwickler bei Google ein. Heute arbeitet er wieder als Professor in Georgia. An die Googlebrille glaubt er nach wie vor. Jeden Freitag fährt er nach Mountain View und berät den Konzern.
Kurz nach dem zweiten Interview schickt Thad Starner eine Mail, ein stichwortartiges Gesprächsprotokoll. Er kann es nicht lassen, die unerweiterte Journalistin ein wenig zu unterstützen.
von Eva Wolfangel