Wissenschaftsreportage Technik Eva Wolfangel

Stuttgarter Zeitung, 17. Februar 2015

Eine neue Gruppe am Tübinger Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme will Roboter zu autonomen Bewegungen befähigen. Was uns Menschen leicht fällt, ist für Maschinen kompliziert.

Manchmal ärgert Ludovic Righetti Roboter – im Dienste der Wissenschaft versteht sich. Er gibt ihnen hinterrücks einen Schubs, wackelt an der Bodenplatte, auf der sie stehen, oder verschiebt den Gegenstand, den der Roboter vom Tisch greifen soll. Und dann freut sich der junge Wissenschaftler am  Tübinger Max-Planck-Institut für intelligente Systeme, wenn sein Gegenüber die Aufgabe trotzdem meistert. Denn das ist seine Forschung: Er will Roboter dazu befähigen, sich autonom bewegen zu können.

Dafür hat der 33-Jährige jüngst einen der begehrten Starting Grants des Europäischen Forschungsrates bekommen, eine Förderung für junge Wissenschaftler. Der Zuschuss in Höhe von 1,5 Millionen Euro erlaubt ihm, eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. Lediglich zehn Prozent der Anträge bekommen eine Förderzusage – ein echter Erfolg, wie er findet: „Das ist eine der bedeutendsten Förderungen, die Leute in meinem Alter erhalten können.“ Und sie erlaubt ihm, fünf Jahre lang das zu erforschen, das er wichtig findet.

Seine Vision sind Roboter, die sich in einer Situation weitgehend alleine zurecht finden und damit den Menschen eine echte Hilfe sind. Das ist beispielsweise in Katastrophenszenarien denkbar, die naturgemäß nicht vorhersehbar sind. Deshalb können Menschen Robotern für solche Einsätze wenig mit auf den Weg geben. Bislang müssen diese aber recht genau programmiert sein, sie müssen in der Regel wissen, was für ein Gelände sie vorfinden oder wo in einem Raum beispielsweise Möbel stehen. Nach einer Katastrophe ist aber häufig vieles zerstört, was vorher noch vorhanden war. Fukushima habe gezeigt, dass die Technik bei weitem nicht auf so etwas vorbereitet ist, sagt Righetti. Aber gerade wenn es um Radioaktivität oder auch hochansteckende Krankheiten wie Ebola geht, wäre es gut, wenn Maschinen anstatt Menschen sich im gefährlichen Umfeld bewegten.

Wie gefragt seine Arbeit ist, erfuhr der Informatiker bereits nach seiner Doktorarbeit in Lausanne, die vom europäischen Robotik-Forschungsnetzwerk mit dem Preis der besten Dissertation des Jahrgangs im Robotik-Bereich gewürdigt wurde. Danach forschte er an der University of Southern California in der Arbeitsgruppe seines Vorbildes Stefan Schall, Professor für Informatik, Neurowissenschaften und Biomedizinische Technik. Als dieser 2011 als einer der Gründungsdirektoren des MPI nach Tübingen wechselte, folgte Righetti ihm.

„Die Bedingungen für meine Forschung sind toll hier“, sagt er. Einige Roboter seien extra für das Institut hergestellt worden. Beispielsweise „Athena“, ein Neuzugang, dessen Bewegungen hydraulisch gesteuert werden, was noch eine Seltenheit in der Robotik ist. Wie Blut läuft das Öl für die Hydraulik durch die Leitungen von Athena. Sie kann sich damit schneller bewegen als elektrisch betriebene Roboter. Im Bestand des MPI findet sich auch Athenas Bruder Hermes und Apollo, ein elektrisch betriebener Roboter. Allein die Kalibrierung von Athena dauert Tage, schließlich sollen sich die Prototypen möglichst exakt bewegen. Im Anschluss geht es darum, ihnen Lernfähigkeit beizubringen, das „Gehirn“ zu gestalten, wie Rigehtti sagt. Die Humanoiden müssen beispielsweise lernen, in Bildern, die sie mit einer Kamera aufzeichnen, Objekte zu erkennen und zuzuordnen. „Die nächste Schwierigkeit ist zu entscheiden, was sie damit tun sollen“, sagt Righetti, „und das dann umzusetzen.“ Prozesse, die uns Menschen so einfach vorkommen, sind sehr kompliziert. Der junge Forscher ist durch seine Arbeit mit Maschinen auch ein sehr genauer Menschenbeobachter geworden: sie sind sein Vorbild. „Leider verstehen wir noch zu wenig vom Menschen, um ihn in der Software nachzubilden.“

Righetti zeigt in einem Film einen seiner großen Fortschritte: ein Roboter greift eine Taschenlampe auf einem Tisch. Später steht die Taschenlampe einige Zentimeter weiter links. Ein klassischer Roboter würde einfach daneben greifen oder die Lampe auf dem Weg zu ihrem vermeintlichen Standort umwerfen. Righetti und seine Gruppe haben ihrem Roboter mittels Sensoren und Algorithmen das Fühlen beigebracht: er stößt mit der Hand an die Lampe und korrigiert seine Bewegung, um sie exakt zu greifen. „Der Algorithmus erkennt den Unterschied zwischen Plan und Realität und passt sich an“, erklärt Righetti: dieses Lernen im Alltag ist die Grundlage für autonome Roboter. Dieses Gefühl in der Hand ist auch wichtig, um die richtige Kraft einzuschätzen, die der Roboter braucht, um eine Handlung auszuführen. „Sonst macht er etwas kaputt oder nimmt womöglich selbst Schaden.“ Auch das ist noch lange nicht Stand der Technik: klassische Roboter führen nur exakt vorgegebene Bewegungen aus und wenden die Kraft an, die der Programmierer vorgegeben hat. Stoßen sie dabei auf ein Hindernis, das in ihrer Datenbasis nicht vorhanden ist, machen sie es eventuell kaputt oder zertrümmern ihre eigene Hand beim Versuch, trotzdem weiter zu greifen.

Die Bewegungen, die Righetti den Robotern am Max-Planck-Institut in vielen kleinen Schritten beibringt, sind nach dem Stand der Forschung schon recht intelligent. Seine Arbeitsgruppe gehört zu den führenden Gruppen weltweit, wenn es um die Entwicklung autonomer Roboter geht. Der junge Forscher weiß aber, dass die Forschung hier noch vor großen Herausforderung steht: „Wir haben hier die besten Roboter der Welt, aber allein sie dazu zu bringen, dass sie sich frei bewegen, ist wahnsinnig schwierig.“

Den Begriff „künstliche Intelligenz“ kann er auch deshalb nicht leiden. „Maschinen sind ziemlich dumm, sie entscheiden nichts, sie tun nur, was ihr Programmierer vorgibt“, sagt er. „Wir wissen nichtmal, ob es jemals menschliche Intelligenz in Robotern gibt.“ Und allen, die Ängste vor intelligenten Maschinen beschwören, die eines Tages die Menschen beherrschen, versichert er: „Selbst wenn das möglich sein sollte, wird es in vielen hundert Jahren nicht geschehen.“

Righetii freut sich eher über die kleinen und dennoch bedeutsamen Fortschritte. Einer seiner „Schützlinge“, ein Humanoide in Californien, hat gerade die Schubs-Prüfung bestanden. Righetti zeigt einen Film, wie ein Mitarbeiter den Roboter von allen Seiten einmal schubst. Der Roboter gleicht die Bewegung aus und bleibt stehen. Der Algorithmus berechnet in Millisekundenschnelle, wie sich die Gliedmaßen bewegen müssen, um das System wieder ins Gleichgewicht zu bewegen. „Gestern hat er seinen ersten Schritt gemacht“, sagt Righetti stolz wie ein Vater bei den ersten Schritten seines Kindes. Diese ersten Schritte sind ein großer Schritt für Righettis Forschung.

von Eva Wolfangel