Wissenschaftsreportage Technik Eva Wolfangel

Stuttgarter Zeitung, Tagesthema, 17. Juli 2015

Intelligente Maschinen beschäftigen die Menschen derzeit stark.  Das Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht einen Themenschwerpunkt über die aktuellen Herausforderungen der künstlichen Intelligenz - und ihre Begrenzungen

Sei es das soziale Netzwerk Facebook, das seine User mittels Künstlicher Intelligenz besser kennen lernen und Werbung noch gezielter platzieren will oder Googles Vision, den Menschen künftig Fragen zu beantworten, bevor sich diese ihnen stellen: Künstliche Intelligenz ist derzeit in viel gefragtes Themenfeld. Ein Grund für das Wissenschaftsjournal „Science“, Künstliche Intelligenz in der aktuellen Ausgabe als Themenschwerpunkt zu behandeln. Schließlich wächst das Thema auch in der Wissenschaft, hohe Fördersummen fließen in entsprechende Projekte. Ein mutmaßlich weiterer Grund: Die Sichtweise der Öffentlichkeit – seien es Befürchtungen vor superintelligenten Robotern bis hin zu übergroßen Hoffnungen, was Maschinen alles leisten könnten – weicht bisweilen von der Realität der Forschung ab. In verschiedenen Artikel beschreiben die Forscher die aktuellen Herausforderungen für die Künstliche Intelligenz – und ihre Begrenzungen.

Geschichte der künstlichen Intelligenz

Die Wissenschaft erlebt derzeit ein großes Comeback eines Themas, das eigentlich bereits in den 1960er Jahren auf der Tagesordnung stand. Bekanntestes Beispiel aus dieser Zeit ist sicherlich ELIZA, eine Software des MIT, die mit Menschen schriftlich kommunizierte und dabei den Eindruck erweckte, intelligent zu antworten. In Wirklichkeit hatten Elizas Entwickler aber einfach eine Reihe an Regeln programmiert, wie sie auf Fragen antworten konnte. Eine Zeitlang wirkt das System erstaunlich menschlich, aber in längeren Konversationen wird die Begrenztheit spürbar: zu sehr wiederholt sich das Schema, nach dem Eliza beispielsweise Bemerkungen des Nutzers einfach in eine Frage umformuliert und zurück stellt.

Selbst lernende Maschinen

Während den Entwicklern vor einem halben Jahrhundert kaum etwas anders übrig blieb, als Regeln zu programmieren, auf deren Grundlage Maschinen entscheiden sollten, entstehen heute so genannte selbst lernende Systeme.  Computer zu bauen, die sich automatisch auf der Grundlage von Erfahrung verbessern,  sei das „Herz der künstlichen Intelligenz“, so Michael Jordan von der University of California und Tom Mitchell von der Mellon University in Pittsburgh. Maschinelles lernen habe in den vergangenen beiden Jahrzehnten „dramatische Fortschritte gemacht“. Der Katalysator dahinter: die massenhafte Online-Verfügbarkeit von Daten und die sinkenden Kosten leistungsstarker Computer, um diese automatisiert auszuwerten. „Viele Entwickler von KI-Systemen erkennen jetzt, dass es für viele Anwendungen leichter sein kann, ein System zu trainieren, indem sie ihm Beispiele von erwartetem Eingabe-Ausgabe-Verhalten zeigen als das händisch zu programmieren und dabei alle erwünschten Antworten auf alle denkbaren Eingaben zu bedenken“, schreiben die Forscher weiter. Die Maschinen werden, vereinfacht gesagt, mit vorhandenen Daten gefüttert, beispielsweise Inhaltsgleiche Texte in verschiedenen Sprachen, und lernen daraus die Regeln für eine automatische Übersetzung. Je mehr Daten vorhanden sind, umso zuverlässiger decken sie alle Fälle ab, an die ein menschlicher Programmierer vielleicht nicht gedacht hat. Jede Regeln einzeln zu programmieren ist zudem eine aufwendige Fleißarbeit.

Kommunikation als Maßstab

Die Fähigkeit von Computern, zwischen menschlichen Sprachen zu übersetzen, sei ein guter Maßstab für künstliche Intelligenz, schreiben Julia Hirschberg von der Columbia University und Christopher M.Manning von der Standford University. Das erfordere nicht nur die Fähigkeit, Sätze zu analysieren, sondern auch ein Verständnis von Weltwissen und Kontext. Lange bevor der Begriff „Big Data“ eingeführt worden sei, habe die Computerlinguistik seit Beginn der 1980er Jahre mittels großer Mengen an Sprachdaten Modelle der menschlichen Sprache entworfen. Dennoch seien die Hoffnungen der Forscher immer wieder enttäuscht worden: Das Sprachverständnis von Robotern sei nach wie vor weit von den Vorbildern in Science Fiction Filmen entfernt. Erst in den vergangenen fünf Jahren habe sich die Situation verbessert, so dass zumindest junge Leute heute wie selbstverständlich mit ihrem Smartphone sprechen. Das kommerzielle Interesse an maschineller Sprachverarbeitung sei ebenfalls gewachsen. „Aus dieser Perspektive ist es aber wichtig zu bedenken, dass die Entwicklung wahrscheinlichkeitstheoretischer Ansätze für Sprache nicht einfach das Lösen technischer Problem ist“, betonen die Autoren:  Solche Wahrscheinlichkeitsmodelle der Sprache würden wiederum in der Linguistik reflektiert. Auch die Menschen sind sich vieler Regeln ihrer Sprache nicht bewusst. Dadurch werde die Sprachwissenschaft ihrerseits empirischer und verfolge quantitativere Ansätze.

Der Mensch bleibt wichtig

Auch wenn die Forscher mit rein datenbasiert selbst lernenden Systemen erstaunlich gute Ergebnisse erzielen, erleben sie aktuell deren Begrenzung. Was Menschen über viele Jahre hinweg als Weltwissen ansammeln, und was uns so selbstverständlich erscheint, ist für Computer schwer nachzuvollziehen. Computerlinguisten beobachten aktuell, dass maschinelle Übersetzungen besser werden, wenn ein automatisches Modell und der Input von Menschen zusammen gebracht werden. „Maschinelle Übersetzungen sind nicht unbedingt eine Aufgabe, die Maschinen alleine erledigen sollten“, schreiben Hirschberg und Manning. Vielmehr sei eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine denkbar, die menschliche Fähigkeiten nutzt anstatt sie zu ersetzen. Auch Jordan und Mitchell sehen einen Trend hin zu neuen maschinellen Lernmethoden, die in der Lage sind, kollaborativ mit Menschen zusammen zu arbeiten, um gemeinsam komplexe Datensätze zu analysieren. Maschinen können raffinierte statistische Effekte erkennen, und kombiniert mit dem vielfältigen Hintergrundwisse der Menschen können so plausible Erklärungen und neue Hypothesen entstehen.

Nutzen für die Gesellschaft

Auch gesellschaftliche Bedenken wie die Privatsphäre angesichts der massenhaften Datenauswertung sprechen die Forscher an. „Wie jede machtvolle Technologie wirft auch Maschinelles Lernen die Frage auf, welche ihrer Anwendungen die Gesellschaft nutzen will und welche nicht“, schreiben Jordan und Mitchell. Daneben stelle sich auch die Frage, wem die Daten in Zukunft gehören sollen und  wer von deren Nutzen profitiert. Viele Daten sind aktuell in den Händen großer Unternehmen, die sie auswerten, um ihren Profit zu erhöhen. „Die Daten müssten ein öffentliches Gut sein, damit die Gesellschaft einen Nutzen daraus ziehen kann.“ Aktuell habe die Gesellschaft aber angesichts von Gesetzen, Sitten, kultureller Faktoren aber gar nicht die Möglichkeit, von den bereits online vorhandenen Daten zu profitieren, selbst wenn sie wollte  - „obwohl es Daten über jeden von uns sind.“ Maschinelles Lernen sei sicherlich eine der Technologien des 21. Jahrhunderts, die das Leben stark verändern. „Es erscheint unumgänglich, dass die Gesellschaft jetzt beginnt darüber nachzudenken, wie sie den maximalen Nutzen daraus zieht.“

Sind Maschinen eines Tages intelligenter als Menschen?

Werden Maschinen also eines Tages schlauer sein als wir selbst? Nach der Lektüre der aktuellen Science-Artikel kann man getrost davon ausgehen, dass dies zumindest noch in weiter Ferne ist. Noch sind viel zu viele grundlegende Probleme zu lösen,  angefangen vom Weltwisse, das uns Menschen so natürlich und naheliegend erscheint, und das gleichzeitig so unlogisch, so uneindeutig und teilweise so unvorhersehbar  ist, dass Maschinen es kaum berechnen können. Bis hin zur noch holperigen Kommunikation mit Maschinen, die uns Menschen immer wieder daran erinnert, dass wir es nicht mit unseresgleichen zu tun haben. Trotzdem, warnt Stuart Russells, einer der Pioniere der Künstlichen Intelligenz im Science-Interview, sollten wir uns darauf nicht verlassen: „Studenten müssen deshalb lernen, dass die Ausrichtung künstlicher Intelligenz entlang menschlicher Werte zentral ist für das Feld.“ Schließlich gehe eine große Gefahr davon aus, wenn künstliche Intelligenz menschliche Werte falsch interpretiere oder anwende. All  jene, die solche Bedenken wegwischen mit dem Argument, dass künstliche Intelligenz nie auf das Niveau menschlicher Intelligenz oder darüber komme, sagt Russell:  „Das ist wie auf eine Klippe zuzufahren und zu sagen: Lasst uns hoffen, dass bald das Benzin leer ist.“

Infobox: Beispiel für maschinelles Lernen Empfehlungssystem Ein Empfehlungssystem wie wir es beispielsweise von Amazon kennen, ist ein einfaches Beispiel für ein maschinelles Lernsystem. Es basiert auf Daten, die eine Verbindung zwischen Nutzern und Produkten abbilden. Verbindung Diese Verbindung zwischen Nutzer und Produkt bedeutet, dass der Nutzer in irgendeiner Form Interesse an diesem Produkt gezeigt hat. Das könnte beispielsweise ein früherer Kauf gewesen sein. Maschinelles Lernen Die Aufgabe des maschinellen Lernsystems ist nun, einem gegebenen Nutzer andere Produkte vorzuschlagen, die ihn oder sie interessieren. Dieser Vorschlag basiert auf den Daten aller Nutzer.

von Eva Wolfangel