Kommentar auf spektrum.de, 10. November 2014 - Link
Die Bahn sollte in moderne Technologie investieren und in Zukunft auf fahrerlose Züge setzen, findet Eva Wolfangel. Die Technologie dazu ist bereits vorhanden.
Der Streik im Bahnverkehr hat bis zum Wochenende viele Menschen Nerven gekostet, so dass manch zynischer Zeitgenosse gar die Abschaffung der Lokführer selbst gefordert hat. Und das ist gar nicht so abwegig – ganz unabhängig davon, ob man den Streik für berechtigt hält oder nicht.
Fakt ist: Auch wenn die Tätigkeit eines Lokführers in Kindergärten als Traumberuf gehandelt wird, ist die Realtität ernüchternd. Im Schnitt überfährt jeder Lokführer im Laufe seines Berufslebens zwei bis drei Menschen, ohne etwas dagegen tun zu können. Dazu kommt die häufig ermüdende Aufgabe, ein System zu überwachen, das viele Situationen automatisiert meistert. Die meiste Zeit sind Lokführer damit beschäftigt zu beweisen, dass sie trotzdem noch nicht eingeschlafen sind: sie müssen eine Sicherheitsfahrschaltung betätigen, die ihrerseits überwacht, dass der Fahrer bei der Sache ist.
Für all das werden die Betroffenen, zumindest nach deren Gefühl, zu schlecht bezahlt. Die Menschheit hat in ihrer Geschichte immer wieder lästige, harte oder menschenunwürdige Tätigkeiten an Maschinen abgegeben. Wir ziehen den Pflug beispielsweise nicht mehr von Hand über den Acker. Große Teile monotoner Fließbandarbeit werden uns inzwischen von Maschinen abgenommen. Wieso also übergeben wir das Steuern von Zügen nicht auch der Technik?
Autos fahren schon heute autonom auf der Autobahn, wenn auch im Probebetrieb. Aber technologisch gilt das als gelöst. Die Bewegung auf der Schiene ist berechenbarer als die auf der Straße: Es gibt nur vorgegebene Wege - und einen Fahrplan. Der Verkehr ist vorhersehbar und gut planbar. Anders als auf der Straße kann ein Zug dank des Fahrplans und aufgrund bereits vorhandener Automatisierung „wissen“, wo er auf andere trifft, welches Gleis frei ist und ob die Weiche richtig steht. Das alles spricht dafür, dass selbstfahrende Züge technisch keine allzu große Herausforderung sein sollten.
Wie gut fahrerloses Fahren im U-Bahn-Bereich schon funktioniert, zeigt das Beispiel Nürnberg: Seit sechs Jahren verkehren die Linien 2 und 3 fahrerlos. Die Züge sind nach Angaben der Stadt Nürnberg fast zu 100 Prozent pünktlich, verbrauchen dank optimierter Fahrweise weniger Energie und sind flexibler einsetzbar. Fahrerlose Züge können in deutlich kürzerem Takt fahren, da die Technik den Ablauf effizienter organisiert. Zudem wird zwischen den Zügen weniger Sicherheitsabstand benötigt, als wenn menschliche Reaktionssekunden eingeplant werden müssen. Ein dichterer Takt wäre eine Erleichterung für viele Großstädte, wo das S-Bahn-Netz im Berufsverkehr regelmäßig überlastet ist.
Nürnberg ist nur eines von vielen Beispielen: Allein in 16 europäischen Städten von Kopenhagen bis Turin fahren U-Bahnen oder Flughafen-Bahnen komplett automatisiert. Auch in London wird die U-Bahn in den nächsten Jahren umgestellt – aus der puren Not heraus, um einen Verkehrskollaps in der bis 2030 zehn Millionen Einwohner zählenden Metropole abzuwenden. Denn zunehmende Pünktlichkeit und eine höhere Taktung sollen mehr Menschen überzeugen, vom Auto auf die Bahn umzusteigen. Das wäre auch ein gutes Argument für die Deutsche Bahn.
Ein beliebtes Gegenargument: Das würde hohe Investitionen bedeuten. Die Umstellung der Nürnberger U-Bahn hat mehr als 600 Millionen Euro gekostet. Aber in zehn bis zwölf Jahren amortisieren sich die Kosten nach Berechnungen der Verantwortlichen. Eine Umstellung auf fahrerlosen Fernverkehr wäre zwar aufwendiger. Im Gegensatz zur U-Bahn müssen hier auch Wetterphänomene und der Schutz der Strecke vor Vandalen berücksichtigt werden. Technisch wäre das aber machbar.
Leider ist die Deutsche Bahn aufgrund der eigenen Logik börsennotierter Unternehmen nicht gerade berühmt für langfristige Investitionen – selbst wenn sie sich irgendwann rentieren würden. Die marode Infrastruktur führt schon heute zu Sicherheitsproblemen. Moderne Technologie würde das Zugfahren nicht nur sicherer machen. Die Umstellung auf fahrerloses Fahren wäre auch eine Chance, die Mobilität der Zukunft mitzugestalten anstatt weiterhin hinterherzuhinken.
von Eva Wolfangel