Stuttgarter Zeitung, 1. Oktober 2014 - Link
Unser Gehirn spielt den Icon-Designern gerne mal einen Streich und verknüpft die Symbole mit den falschen Dingen. Oder mit nichts.
Am Anfang steht das Wort. Es beschreibt eine Funktion auf dem Computer, für die ein Designer ein Bild kreieren soll. Eines, mit dem die Menschen diese Funktion auf den ersten Blick verbinden: ein Icon. Angesichts der wachsenden Informationsflut sollen uns diese kleinen Bilder helfen, uns auf dem Bildschirm oder dem Handydisplay zu orientieren. Denn Bilder können mehr Informationen zur gleichen Zeit vermitteln als ein Text, erklärt Ralph Tille, Professor für Interaktives Mediendesign an der Stuttgarter Hochschule der Medien: „Unser Gehirn kann nur ein Wort nach dem anderen erfassen, Bilder werden häufig als Gesamtheit verarbeitet.“ Ein gutes Icon kann daher besser zu verstehen sein als die gleiche Information in Textform. Es gibt aber Grenzen: wenn es zu viele abstrakte Funktionen repräsentieren muss, ist es kaum möglich, ein einprägsames Icon zu entwickeln. Kleiner Test: Wer weiß aus dem Kopf das Icon für „Systemsteuerung“ im Windows-Menü? Die meisten werden hier passen müssen. Wir finden den Ordner „Systemsteuerung“ trotzdem, weil wir auswendig gelernt haben, wo er steht. Ein gutes Icon vermittelt seinen Inhalt hingegen intuitiv. „Komplexere Bedienhandlungen sind schwer darzustellen“, sagt Tille. Hinter „Systemsteuerung“ verbergen sich zu viele Funktionen. Und wer zu viel in einem kleinen Bild verpacken will, wird wahrscheinlich scheitern. „Speichern unter“ ist dagegen eine simplere Funktion - auf den ersten Blick.
Die erste Aufgabe eines Icon-Designers ist zu analysieren, was sich eigentlich hinter einem Begriff verbirgt und zu überlegen, ob sich das in ein Bild fassen lässt. Was geschieht beispielsweise beim Abspeichern eines Textes? Nutzerfreundliche Icons zeigen nämlich nach aktuellen Forschungen genau die Funktion, für die sie stehen. Der US-amerikanische Berater Jakob Nielsen, einer der führenden Usability-Forscher, nennt diese „Resemblance Icons“, ähnliche Icons. Sie haben die gleiche Aufgabe wie die Ikonen, die wir aus der Kirche kennen, erklärt Tille: „Sie zeigen etwas, das ich nicht sehe und versuchen Bedeutungen und Zusammenhänge zu vermitteln.“ Man versucht, ein Abbild zu entwerfen. Auch die alten Ikonen-Designer, die damals sicherlich noch anders hießen, scheiterten bisweilen an einem solchen Abbild. Wie sollten sie auch „Glauben“ darstellen? Also entschieden sie sich für ein Symbol, sie wählten beispielsweise ein Kreuz.
Übertragen auf heute heißt das: Entweder der Designer findet ein gutes Abbild der Funktion, die hinter dem Icon steht, oder er behilft sich mit einem Symbol. „Diese muss man allerdings lernen“, sagt Tille. Deshalb gelten Symbole als weniger nutzerfreundlich. Beispielsweise erschließen sich viele Verkehrszeichen nicht intuitiv, wir lernen sie auswendig. Auch „speichern unter“ stellt uns vor größere Herausforderungen. „Wie kann man diesen elektromagnetischen Prozess darstellen?“, fragt Ralph Tille. Die Erfinder des Disketten-Icons entschieden sich, nicht den Vorgang an sich sondern das Speichermedium abzubilden. Das Icon funktioniert heute noch, weil sich viele an Disketten erinnern können. Aber wie lange noch? Der Nutzer, das unbekannte Wesen, ist die zweite Herausforderung für den Designer. Wer ist die Zielgruppe? Welche Bilder kennen die Nutzer? Hier wird klar, wieso die Diskette bald ausgedient hat: Jüngere Nutzer haben sie nie persönlich kennen gelernt. Das Bild entwickelt sich derzeit vom einst nutzerfreundlichen „Resemblance Icon“ zum abstrakten Symbol.
In keinem Smartphone ist ein Zahnrad - das Icon ist trotzdem gut
Aber es gibt noch eine Rettung für Designer, eine dritte Form: „Reference Icons“, wie Nielsen sie nennt. Sie stellen eine Analogie zum eigentlichen Objekt dar, wenn jenes zu uneindeutig oder schwer abbildbar ist. „Dabei wird ähnlich wie bei der Metapher Alltagswissen in einen anderen Kontext übertragen“, erklärt Tille. Typische Beispiele sind die Büroklammer für Dateianhänge, das Zahnrad oder der Gabelschlüssel für „Einstellungen“. Auch wenn in keinem Smartphone oder Notebook ein Zahnrad eingebaut ist und man auch keinen Gabelschlüssel braucht, um sie zu öffnen, erschließt sich uns relativ einfach, dass wir hier zu den Einstellungen gelangen.
Solche Icons arbeiten mit unserer Intuition. Das ist ihre Stärke und gleichzeitig ihre Schwäche, denn Intuition beruht auf unserer individuellen Erfahrung. Und die kann der Designer nur erahnen. „Man ist mit der Herausforderung konfrontiert, ob die Benutzer die Abstraktion und Zuordnung tatsächlich verstehen“, sagt die deutsche Usability-Expertin Marja-Liisa Jöckel. Wer sich unsicher sei, ob er ein geeignetes Icon entworfen hat, sollte den Nutzer bereits im Vorfeld zu Rate ziehen, rät die Informationswirtin: Nur so kann man herausfinden, ob mit einem Icon die entsprechende Funktion tatsächlich intuitiv verbunden wird. „Man kann Nutzern die Bedeutung eines Icons nicht antrainieren“, warnt sie. Sei der Assoziationsraum zu groß, bleibe das Icon missverständlich und sei nicht benutzerfreundlich. Mediendesigner Tille überprüfte das für einzelne „Reference Icons“: Er ließ in einer Studie Probanden aufzeichnen, was sie mit dem Begriff „Einstellungen“ verbinden. In der Tat zeichneten die meisten ein Zahnrad oder einen Gabelschlüssel. „In diesem Fall hat sich der Designer offenbar sehr gut in die Nutzer hineinversetzen können“, sagt Tille.
Das gelingt nicht immer. Manchmal ergibt sich sogar ein Widerspruch zwischen Icon und Funktion wie bei den früheren Windows-Versionen: Nutzer mussten zum Ausschalten ihres Rechners zunächst auf die Start-Schaltfläche klicken. Für diese unintuitive Verbindung musste das Unternehmen viel Kritik einstecken. Tille missbilligt auch Apples Umgang mit dem Papierkorb-Symbol – an sich ein sehr treffendes Bild. Aber Mac-Nutzer müssen externe Speichermedien mit der Maus auf den Papierkorb legen, bevor diese ausgegeben werden. „Das ist überhaupt nicht intuitiv“, sagt Tille. Und damit auch nicht nutzerfreundlich.
Nutzer lassen sich nicht umerziehen
Nicht zuletzt sind unsere bisherigen Erfahrungen mit Icons eine Falle für Designer. Unser Gehirn sortiert Erfahrungen gerne in vorhandenes Wissen ein. Deshalb sollten sich Designer hüten, funktionierende Icons kreativ durch andere zu ersetzen oder gar umzudeuten. „Usability-Papst“ Nielsen, wie er in IT-Keisen genannt wird, untersuchte in einer Studie den neuen Internetauftritt der amerikanischen Bucknell-University, der mit vielen Nutzergewohnheiten bricht. Wer dort auf das Uhrensymbol klickt, bekommt Seiten angezeigt, die er zuvor besucht hat – anstatt eines Weckers oder einer Stoppuhr, auf die das Uhr-Icon üblicherweise verweist. Nielsens These bestätigte sich: Nutzer lassen sich nicht umerziehen. „Kein einziger Teilnehmer klickte das Icon an: es war pure Verschwendung“, schreibt er.
Am Ende steht also ein Bild. Aber selbst wenn der Designer ein treffendes Bild ganz nach Geschmack und Vorerfahrungen seiner Nutzer-Zielgruppe geschaffen hat, hat er einen Feind, der die Lebenszeit seines Icons begrenzt: Den technologischen Fortschritt. Denn wie wir unsere Daten in 20 Jahren speichern, das weiß heute noch niemand.
von Eva Wolfangel