Wissenschaftsreportage Technik Eva Wolfangel

spektrum.de, 21. Mai 2014 - Link

An Smartphones und Tablet-Computern ist nichts nachhaltig. Weil alles immer kleiner wird, lassen sie sich kaum reparieren und landen schnell auf dem Müll. Die Industrie profitiert davon. Erste Beispiele aber zeigen, dass es anders geht. Die großen Unternehmen geraten unter Druck.

Vor eineinhalb Jahren ging die Digitalkamera des niederländischen Designers Dave Hakkens kaputt. Er nahm sie auseinander, sah, dass nur ein kleines Bauteil kaputt war und atmete auf: Man musste es nur austauschen. Doch die Erleichterung hielt nicht lange. „Das war einfacher gesagt als getan“, sagt er heute desillusioniert; nirgends gab es das Teil zu kaufen, niemand konnte die Kamera reparieren. „So wachsen die Berge an Elektroschrott.“ Noch häufiger seien es Smartphones, die wegen eines defekten, nicht austauschbaren Teils komplett entsorgt werden müssten. Umweltschützer und Technologiefan Hakkens ärgerte sich nicht lange, sondern startete „Phonebloks“, eine Kampagne für ein modulares Smartphone, die innerhalb weniger Wochen zig Millionen Anhänger im Netz fand.

Hakkens ist auf ein Problem gestoßen, das viele umtreibt und die Technologie der Zukunft vor eine Herausforderung stellt: Gerade die modernen, auf Miniaturisierung getrimmten mobilen Geräte sind alles andere als „grün“. Bei den wenigsten Smartphones und TabletPCs kann man einzelne kaputte Teile austauschen, meist nicht einmal den Akku. Das verkürzt deren potentielle Lebensdauer: ein kaputtes Teil und das ganze Gerät muss entsorgt werden.

Hinzu kommt, dass die Herstellung der einzelnen Komponenten alles andere als umweltfreundlich ist: „Insbesondere Smartphones und Tablets enthalten neben verschiedenen Schadstoffen auch zahlreiche Edel- und Sondermetalle wie Gold, Kobalt, Gallium oder Seltene Erden“, sagt Siddharth Prakash, Experte für nachhaltige Produkte beim Freiburger Ökoinstitut. Diese zu gewinnen und zu verarbeiten verbraucht nicht nur viel Energie, was zu einer schlechten Ökobilanz führt, sondern verunreinigt durch die eingesetzten Chemikalien oft ganze Landstriche. „Außerdem dürfen die erheblichen sozialen Missstände nicht übersehen werden“, sagt Andreas Manhart, der sich am Ökoinstitut mit Ressourcenwirtschaft beschäftigt. Der Abbau ist häufig mit ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen in Schwellen- und Entwicklungsländern verbunden. Das alles wären gute Gründe, mit den enthaltenen Rohstoffen sorgsam umzugehen.

Problem Miniaturisierung

Aber die Miniaturisierung der mobilen Geräte macht das Recycling zunehmend problematisch: Die Bauteile werden immer häufiger miteinander verklebt, weil das Platz spart. Dadurch lassen sie sich kaum trennen. Eine Studie zur Recycling- und Reparaturfreundlichkeit von Tablets des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin ergab 2013 zudem einen Zielkonflikt: Verschraubte Teile wären für eine spätere Reparatur gut (brauchen aber Platz), fürs Recyceln wären hingegen leicht aufbrechbare Plastikchips als Verbindung besser. Verklebte Bauteile sind für beides schlecht, machen die Geräte aber schön klein und sind daher die Regel. Unter den Tablets aus der IZM-Studie findet sich nur eines mit austauschbarem Akku. Bei manchen Geräten ist das Touchpanel untrennbar mit dem LCD-Display verklebt: bricht das Frontglas, muss die ganze Display-Einheit ausgetauscht werden.

Dabei ist die Reparierbarkeit einer der Knackpunkte, sagt Studienleiter Karsten Schischke von Fraunhofer IZM: „Bei nahezu keinem Gerät ist von außen sichtbar, wie man es öffnen kann. Man macht eher was kaputt.“ Einfach mal probieren ist also keine Option für Privatnutzer. Für die Studie hatten die Forscher vorher nach Reparaturanleitungen gesucht. Aber auch diese sind kaum verfügbar – wenn, dann geben Bastler sie untereinander weiter. Auf Websites wie ifixit beispielsweise tragen Nutzer Tipps zusammen. Würden die Hersteller Reparaturanleitungen  veröffentlichen, wäre schon viel geholfen, glaubt Schischke. Die Ergebnisse der Studie sollen in EPEAT einfließen, ein US-amerikanisches Kennzeichnungssystem für umweltfreundliche Technologie. Noch gibt es dort keine Kategorie für Smartphones und Tablets. „Verbraucher fragen das jetzt aber immer häufiger nach“, so Sarah O'Brian vom Green Electronics Council in Portland. Ende 2015 sollen zumindest Handys dort bewertet werden.

Viel können die Experten den Nutzern ansonsten aktuell nicht raten. „Wir empfehlen Verbrauchern, Initiativen wie das Fairphone zu unterstützen“, sagt Siddharth Prakash vom Ökoinstitut. Das weitgehend fair und relativ umweltfreundlich produzierte Handy war nach einer Crowdfunding-Aktion Anfang des Jahres auf den Markt gekommen und soll nun in die zweite Runde gehen. „Leider gibt es aber noch keine hundertprozentig fair hergestellten Handys oder Computer auf dem Markt“, sagt Prakash. Ansonsten sollten Verbraucher ihr Smartphone möglichst lange nutzen -  „und nicht jedem neuen Gerät hinterher rennen.“ Es mache aus Umweltgesichtspunkten keinen Sinn, ein altes mobiles Gerät gegen ein neues mit niedrigerem Energieverbrauch auszutauschen: Eine Berechnung des Instituts in Bezug auf Notebooks ergab, dass sich das erst nach Jahrzehnten lohnt, weil die Produktion sehr viel mehr Energie verbraucht als die Nutzung. Auch das Recycling muss verbessert werden, ergänzt Manhart: Noch wandern zu viele Kleingeräte in den Hausmüll. Wer sein Handy nicht mehr braucht, kann es zudem weitergeben oder spenden.

Recycelbarer Laptop aus Holz

Aber es gibt viel versprechende Ansätze für die Zukunft. Dem Laptop „Iameco D4R“  (sprich: I am eco – Ich bin Öko) sieht man seinen ökologischen Hintergrund von weitem an: er hat einen Rahmen aus recyceltem Holz. Ebenso der Touchscreen-Computer „Iameco V3.0“. Die irische Computerfirma MicroPro hat die beiden Prototypen in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut IZM entwickelt. Sowohl in der Herstellung als auch in Bezug auf Recycling-Möglichkeiten steht hier die Umwelt im Vordergrund: So erzeuge der Touchscreen-PC 70 Prozent weniger CO2 als vergleichbare herkömmliche Geräte und lasse sich zu 98 Prozent recyceln – wenn die Komponenten teilweise weiter verwendet werden. Es ist zudem der erste Computer seiner Art, der das europäische Umweltzeichen erhielt. Die Geräte sind modulartig aufgebaut, so dass sie leicht repariert werden können.

Für den Nachhaltigkeitsexperten Prakash zählt hier vor allem die Vorbildfunktion: „Es zeigt, dass es möglich ist, umweltfreundliche Geräte herzustellen.“ Schließlich seien die Kriterien des Umweltzeichens sehr streng. Aber ist ein Gerät, das in der Einzelfertigung aktuell 7000 Euro kostet, für den Massenmarkt geeignet? Nach den Berechnungen MicroPro bräuchte es ein Fertigungsvolumen von etwa 5000 Produkten, um in die Preisregion vergleichbarer Apple-Produkte zu kommen. Aber dann könnten die Iamecos auch einen ähnlichen Kultstatus erreichen, glaubt Karsten Schischke: „Damit im Prenzlauer Berg im Straßencafé – das ist cool.“ Die Initiatoren denken derzeit über ein Crowdfunding nach.

Auch Phoneblok, die eingangs erwähnte Initiative des Niederländers David Hakkens, hat Kultstatus erreicht – auch wenn es das modulare Smartphone aus austauschbaren, frei wählbaren Komponenten noch gar nicht gibt. Allein ein erstes Video über seine Idee, das Hakkens im September 2013 ins Netz stellte, hatte nach den ersten 24 Stunden schon über eine Million Klicks, heute sind es mehr als 20 Millionen. Mehr als eine Million Unterstützer aus der ganzen Welt teilen die Forderung Hakkens, viele Hacker haben sich bereiterklärt, ein solches Produkt mit zu entwickeln.

Community macht Druck auf Google

Das machte Druck auf Google mit seiner Handysparte Motorola: Parallel zu Hakkens hatte der Konzern offenbar ebenfalls an einem modularen Konzept gearbeitet. Als klar wurde, wie groß die Phoneblok-Community ist, ging Google mit seinem Konzept „Ara“ (http://www.projectara.com/) an die Öffentlichkeit und bot an, die Community mit einzubeziehen. Unter dem kritischen Blick Hakkens und seiner Unterstützer arbeitet Google seither an einem modularen Smartphone, das bereits im kommenden Frühjahr in einer ersten Testversion auf den Markt kommen soll.

Einen entscheidenden Haken haben allerdings sowohl die Iameco-Serie als auch das Konzept Phoneblok: Die Geräte können nicht so klein und leicht werden wie herkömmliche Konkurrenzprodukte. „Die Reparaturfreundlichkeit macht den Iameco größer und schwerer“, erklärt Schischke. Schließlich muss geschraubt statt geklebt werden. Auch dass er von einem mittelständischen Unternehmen gefertigt wird, führt zu einem Marktnachteil: „Micropro ist auf Standardkomponenten angewiesen, die untereinander eventuell nicht perfekt zusammen passen.“ Das nachhaltige Konzept sieht zudem ein standardisiertes Motherboard auch für künftige Iameco-Generationen vor, damit alle Teile stets kompatibel bleiben. Eine fortschreitende Miniaturisierung ist also nicht möglich. Schischke nennt dies den „apple-Effekt“: Bei mehreren Millionen Boards wird für das jeweils aktuelle Modell alles so zurecht designed, dass es möglichst klein ist. Aber schon die Bauteile der nächsten Generation sind noch kleiner, noch optimierter – und mit dem Vorgängermodell nicht kompatibel.

Vielleicht muss der umweltbewusste Verbraucher der Zukunft also umdenken: Nachhaltig, dafür nicht immer kleiner und leichter. „Immerhin kann der Nutzer dann selbst entscheiden“, sagt Dave Hakkens. Ähnlich reagiert er auch auf Bedenken, dass der modulartige Aufbau den Konsum noch mehr ankurbeln könnte: Wenn es einfacher und billiger als heute ist, stets die neueste Kamera im Handy zu haben, warum sollten die Nutzer dann darauf verzichten? „Diesen Bedarf hat die Industrie geschaffen“, vermutet er: „Manch einer will vielleicht statt einer Kamera lieber ein mobiles Blutzucker-Messgerät haben, weil er Diabetes hat.“ Mit Phonebloks, so Hakkens Vision, kann jeder Nutzer genau jene Komponenten bekommen, die er braucht. Nichts wird unnötig produziert – und das dient der Umwelt.

Große Firmen haben wenig Interesse an Nachhaltigkeit

Der Konsument und seine Verantwortung rücken bei der nachhaltigen Mobiltechnologie in den Mittelpunkt. Die großen Firmen haben von sich aus wenig Interesse, nachhaltiger zu produzieren – schließlich machen sie mehr Geld mit der Wegwerfgesellschaft. Aber Beispiele wie Iameco oder Phonebloks machen Druck: „Die großen Firmen beobachten das sehr genau - und niemand will an den Pranger gestellt werden“, sagt Karsten Schischke. Auch wenn die meisten Unternehmen mit Recycling- und Reparaturfreundlichkeit noch ein Kommunikationsproblem haben, weil niemand gerne die Endlichkeit der eigenen Produkte in den Vordergrund stellen will, ist zumindest der Umweltaspekt teilweise angekommen: So stellt Apple seit einigen Monaten die CO2-Bilanz all seiner Produkte online.

Dave Hakkens jedenfalls will sein Engagement forcieren. Mitte Mai ließ er in einem neuen Video anklingen, dass auch andere Geräte modular aufgebaut sein sollten – von der Waschmaschine bis zum Flachbildschirm. Außerdem will die Community Google kritisch im Auge behalten und weitere Unternehmen überzeugen, modulare Handys zu entwickeln. Das wird Google zwar nicht gefallen. Aber es dient der Sache.

 

von Eva Wolfangel