Bild der Wissenschaft, Mai 2014 (Auszug)
Schadet die moderne Technologie unserem Miteinander? Informatiker kommen ins Zweifeln. Sie entwickeln Programme und Apps die persönliche Begegnungen fördern sollen – und plädieren dafür, ab und zu mal offline zu sein.
Die Mail des Informatik-Professors ist ungewöhnlich: „Über dieses Thema habe ich in letzter Zeit vermehrt nachgedacht“, schreibt er an die Journalistin, „vielleicht können wir uns darüber mal unterhalten.“ Er schickt einen Internetlink. Der führt zum Tagebuch von Rachel Stafford, einer jungen Mutter aus Alabama. „Wie man eine Kindheit verpasst“, ist ihr Webblog überschrieben. Darin schildert die Frau, wie sie mit ihrem Smartphone jahrelang in sozialen Netzwerken chattete, Firmenmails beantwortete, Videos schaute – und dabei das richtige Leben verpasste. Erlebnisse mit ihrer Tochter beispielsweise. Sie wolle diese „schmerzhafte Wahrheit“ teilen, um anderen Eltern eine solche Erfahrung zu ersparen.
Moderne Technik zu verdammen, vor den Folgen einer ständigen Online-Präsenz zu warnen, gehört heutzutage schon fast zum guten Ton. Ungewöhnlich ist es, wenn Informatiker darauf verweisen. „Ich bin mir sicher, dass die richtige Anwendung von Technologie sinnvoll ist“, schränkt Albrecht Schmidt, Professor für Mensch-Maschine-Interaktion an der Uni Stuttgart, dann auch ein. Doch was ist sinnvoll? Wie sollten wir Handy, Computer und Co nutzen? „Wir haben entdeckt, dass die Menschen eventuell etwas mehr Zeit online verbringen, als ihnen gut tut“, sagt Nemanja Memarovic von der Fakultät für Informatik der Universität Lugano. Er beobachte, dass immer häufiger Freunde oder Familien zwar beieinander sitzen, aber nicht miteinander reden, weil jeder mit seinem Smartphone beschäftigt ist.
„Von 1997 bis 2009 hat in Großbritannien der Gebrauch elektronischer Geräte zugenommen, gleichzeitig hat die persönliche Kommunikation abgenommen“, zitiert er eine Studie. Das sieht er kritisch: Erst kürzlich hätten Forschungen ergeben, dass etwa Kranke schneller gesünder würden, wenn sie mehr persönliche anstatt digitale Kontakte hätten. „Es wird immer wichtiger, die menschliche Interaktion in unsere reale Welt zurück zu bringen“, sagt Memarovic. Deshalb organisiert er mit Kollegen weltweit Konferenzen, auf denen sich Informatiker darüber austauschen, wie sie persönliche Kontakte zwischen den Menschen fördern können. Ein ganz neuer Forschungszweig ist so entstanden: Er beschäftigt sich mit der Frage der Computer-gestützten sozialen Interaktion.
Denn auch wenn die Bedenken vieler Menschen gegenüber der modernen Technologie so alt sind wie die Technologie selbst, hat die Wissenschaft gerade erst angefangen zu untersuchen, wie sich diese tatsächlich auf unser Leben auswirkt. Wie verändert das Internet die Beziehungen der Menschen? Dabei geht es nicht nur um Auswüchse wie Cyber-Mobbing. „Die Diskussionen über dieses Phänomen haben einen differenzierten Blick darauf verstellt, inwiefern Technologie die Nähe von Freundschaft beeinträchtigt“, so Jeffrey Parker, Professor für Psychologie an der Universität Alabama: „Wir fangen gerade erst an, diese subtilen Veränderungen zu betrachten.“
Allerdings befürchtet er nach ersten Beobachtungen, dass gerade die junge Generation der so genannten „Digital Natives“, die mit Computern und Internet aufgewachsen sind, weniger stabile, enge Beziehungen aufbaut als ihre Vorfahren. „Aber auf diese Beziehungen dürfen wir nicht verzichten“, warnt er. „Diese Generation hat zwar starke technische Fähigkeiten, kann aber nur schwache, persönliche Kontakte aufbauen“, bestätigt Gary Small, ein Neurowissenschaftler von der University of California in Los Angeles.
Ähnlich argumentiert die US-amerikanische Soziologin Sherry Turkle in ihrem Buch „Alone Together“ (dt.: Zusammen allein), das unter Informatikern kontrovers diskutiert wird: Technologie und soziale Netzwerke im Internet ersetzten zunehmend echte persönliche Beziehungen, schreibt die Autorin. Auffällig, dass diese These ausgerechnet aus dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) kommt, eine der weltweit führenden Eliteuniversitäten, wo an den Technologien von morgen geforscht wird. Turkle ist dort Professorin für Technologie und Gesellschaft, sie bezeichnet sich durchaus als technologiebegeistert – aber die aktuelle Entwicklung erschreckt sie: So hat sie Jugendliche interviewt, die lieber mit einem Programm kommunizieren, das auf Künstlicher Intelligenz beruht, statt mit ihrem Vater. Die Software habe doch eine viel größere Datenbasis als der Senior, argumentieren sie. Turkl traf Studenten, deren sehnlichster Wunsch es ist, mit der Sprachsteuerung ihres iPhones endlich wie mit einem guten Freund reden zu können: einer, der immer zuhört. Noch ist klar, dass man mit einer Maschine spricht. Aber eines Tages wird die automatische Sprachverarbeitung so gut sein, dass der Unterschied zu einem Menschen kaum auffällt. Die Technologie mache andere Wesen aus uns, warnt Turkle: „Diese kleinen Geräte, wie sie die meisten von uns mit sich herumtragen, verändern nicht nur das, was wir tun“, schreibt sie in einem Artikel für die New York Times, „sondern das, was wir sind“.
Dieser These widerspricht Geraldine Fitzpatrick, Professorin für Mensch-Maschine-Interaktion an der Technischen Universität Wien: „Es ist nicht die Technologie, sondern die Art, wie wir sie nutzen.“ Und das können wir selbst bestimmen – vielleicht mit etwas Unterstützung. Fitzpatrick möchte den Menschen aber nicht vorgeben, wie viel Zeit sie offline verbringen sollen. Wer heute in den Wohnzimmern oder Restaurants beobachte, wie die Menschen beieinander sitzen und isoliert auf ihre Handys schauen, könne freilich auf die Idee kommen, „dass die Technologie den persönlichen Kontakten der Menschen im Weg steht“. Deshalb hat auch sie sich der eingangs erwähnten internationalen Arbeitsgruppe „Online-Offline-Interaction“ angeschlossen: „Für uns als Informatiker ist es wichtig zu erforschen, wie wir die Technologie ändern oder ergänzen können, damit die Menschen mehr persönliche Kontakte haben.“
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von Eva Wolfangel
(Der gesamte Text darf leider aus rechtlichen Gründen hier nicht erscheinen. Weiterlesen übe die Apps, die Informatiker für Mensch-zu-Mensch-Begegnungen entwickeln, also in Bild der Wissenschaft 05/2014)