Auslandsreportage mit Eva Wolfangel

DIE ZEIT, 19. Oktober 2025

TSMC baut die Chips, ohne die es keine iPhones, Teslas oder ChatGPT gäbe. Keine Firma der Welt kann das sonst. Alles nur, weil Taiwan an ein paar junge Nerds glaubte.

Wenn er seinen Arbeitsplatz erreicht, muss er zuerst in eine Kamera schauen. Eine Gesichtserkennungssoftware überprüft, ob er wirklich ist, wer er vorgibt zu sein: Jason Liu, Mitte 30, seit ein paar Jahren Anlageningenieur beim Mikrochiphersteller TSMC in Hsinchu, Taiwan. Dann schließt er sein Smartphone ein, zieht einen weißen, astronautenhaften Ganzkörperanzug an und betritt den sogenannten "Luftwaschraum", der de facto ein riesiger Staubsauger ist. Luft zerrt von allen Seiten an ihm. Ohne ein Staubkorn am Körper betritt er eine Halle, in der gigantische Maschinen ausgeleuchtet von gelbem Licht stehen, eine Welt voller Sensoren, Kameras und Lüftungen, ohne den Schmutz des Lebens; eine Fabrik, sauberer als ein OP-Tisch. 

"Und dann bin ich für mein Umfeld verschwunden", sagt er.

Jason Liu erzählt seine Geschichte in einem Starbucks im Zentrum von Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan, weit weg von seinem Arbeitsplatz. Er heißt in Wirklichkeit anders – mit der Presse zu sprechen, kann ihn den Job kosten. Bis zu 14 Stunden täglich arbeitet er, abgeschottet von der Außenwelt, an der Zukunft. Genau genommen an einem winzigen Teil dieser Zukunft: an "drei Nanometern".

Drei Nanometer bezeichnet eine neue Klasse an Computerchips – auch wenn sich die Größe der Komponenten physisch kaum noch messen lässt. Die kleinsten Bestandteile dieser Mikrochips sind etwas kleiner als ein Virus, Hunderte Male kleiner als ein menschliches Blutkörperchen. Die Chips bestehen aus Schichten, die nur wenige Atome dick sind. 

Nur ein einziges Unternehmen auf der Welt kann diese High-End-Chips in großem Stil produzieren: Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, TSMC. Die Chips des Unternehmens stecken in Smartphones, selbstfahrenden Autos, Spielkonsolen. TSMC stellt 90 Prozent der modernsten Mikrochips weltweit her. Und 99 Prozent der Chips, die zum Trainieren der aktuellen Modelle künstlicher Intelligenz verwendet werden.

Ohne TSMC gäbe es keine iPhones, keine selbstfahrenden Teslas, keine Playstation, kein ChatGPT. Wenn der Konzern von heute auf morgen die Produktion stoppte, stünde innerhalb weniger Wochen ein großer Teil der Weltwirtschaft still. Wie schnell das geht, hat sich erst kürzlich gezeigt: Ein Engpass in der Chipindustrie hat im Jahr 2021 unter anderem bei VW, BMW, Mercedes und Ford zu Kurzarbeit und Produktionsstopps geführt.

TSMC ist aktuell die vielleicht wichtigste Firma der Welt. Und die Chipproduktion ist Taiwans Lebensversicherung: Die westliche Welt – allen voran die USA – hat ein sehr egoistisches Interesse daran, das Land gegen einen möglichen Angriff Chinas zu verteidigen.

Was ist TSMCs Geheimnis? Wieso schafft es kein anderes Unternehmen, derart leistungsfähige Chips zu produzieren? Und wie konnte der Westen so abhängig werden von dieser winzigen Insel vor China, die nur 0,02 Prozent der Landmasse der Erde ausmacht?

Die erste Antwort beginnt mit einem taiwanischen Studenten, der in den Siebzigerjahren ein besseres Leben in Amerika suchte und mit dem Geheimrezept für die Zukunft zurückkehrte. Die zweite Antwort hat mit Jason Liu zu tun und Zehntausenden jungen Taiwanern, die das Erbe der Pioniere antreten. Sie sehen die Welt anders, und deshalb ist man bei TSMC in großer Sorge.

Der Arbeiter

Ein Spätsommertag, 13 Uhr. Jason Liu macht Halt auf dem Weg zur Nachmittagsschicht bei TSMC. Sie beginnt um 15.30 Uhr und endet offiziell um halb eins nachts. "Real geht sie meistens bis zwei Uhr", sagt Liu. Draußen ist es so heiß, dass seine eiskalte Cola sogar im klimatisierten Starbucks den Tisch nass tropft. Aber das ist ihm egal, von den physischen Herausforderungen seiner Umwelt bekommt Liu wenig mit, er verbringt sein halbes Leben im staubfreien Lab ohne Tageslicht. Er müsse sich glücklich schätzen, sagt er, schließlich arbeite er nur 70 bis 80 Stunden pro Woche. Er habe Kollegen, die 100 Stunden arbeiteten.

Liu ist kein Manager, bei dem solche Arbeitszeiten zur Jobbeschreibung gehören. Er ist nur einer der Zehntausenden Mitarbeiter in der Produktion, letztlich ferngesteuert von Maschinen. Wenn er nach der aufwendigen Eintrittsprozedur seine Schicht antrete, begegne er kaum Menschen, sagt er. Über seinem Kopf schweben Boxen, in denen die künftigen Chips von einer Bearbeitungsstation zur nächsten transportiert werden. In Lius Bereich befinden sich ungefähr 20 Stationen der Fertigungsstraße, berichtet er, und an jeder durchläuft der zukünftige Mikrochip 40 Schritte: "Ich muss jeden dieser 40 Schritte überwachen und anpassen, bis die Qualität stimmt." Er wird für die Qualität der in seiner Schicht produzierten Chips persönlich verantwortlich gemacht.

Mikrochips werden aus sogenannten Wafern hergestellt: Scheiben aus hochreinem Silizium, die aussehen wie kleine, runde Badezimmerspiegel. Zunächst wird eine lichtempfindliche Schicht auf den Wafer aufgetragen. Dann wird er in einer Belichtungsmaschine mit Schaltkreismustern belichtet, wie bei der Fotoentwicklung. Die belichteten Bereiche werden chemisch herausgeätzt. So entstehen winzige Strukturen auf den Chips: Transistoren, Leitungen und Kontakte. Nach dem Muster werden weitere Schichten gebildet, bis der Mikrochip in knapp 1.000 Prozessschritten über 100 Schichten dick geworden ist. Dann ist ein ganzes Universum mit Milliarden Bauteilen entstanden, fingernagelgroß.

Am Entstehungsprozess eines Mikrochips bei TSMC sind Unternehmen auf der ganzen Welt beteiligt. Die Chips werden in Amerika, Europa und Asien designt und in Taiwan gefertigt; die Belichtungsmaschinen stammen aus den Niederlanden, deren komplexe optische Systeme produziert Zeiss in Deutschland, die nötigen Chemikalien kommen aus Japan oder auch aus Europa. In der Fabrik, in der Jason Liu arbeitet, läuft die komplexeste Lieferkette der Welt zusammen.

TSMC sichert seinen Vorsprung, indem es die Grenzen permanent weiter verschiebt. 2-Nanometer-Chips sind bereits in der Testproduktion, 2027 will man in die 1,4-Nanometer-Produktion einsteigen. Das ist die Grundlage des Fortschritts, zumindest laut Moore's Law: Intel-Gründer Gordon Moore hat in den Sechzigerjahren vorausgesagt, dass sich die Zahl der Transistoren auf einem Chip alle ein bis zwei Jahre verdoppelt und damit auch die Rechenleistung. So grob stimmt das bis heute.

Was ist das Geheimnis von TSMC? "Genauigkeit", sagt Liu. Bei der Chipherstellung passieren immer Fehler, winzige Staubpartikel oder Abweichungen können Chips unbrauchbar machen. Wenn einer der 40 Prozesse, für die er verantwortlich ist, nicht exakt so funktioniert, wie er soll, muss Jason Liu sofort reagieren. Maschine anhalten, den Hersteller anrufen, nachkalibrieren, Bericht schreiben, Maschine weiterlaufen lassen. Die kleinste Verzögerung ist teuer: Eine Belichtungsmaschine kostet so viel wie ein Langstreckenflugzeug und läuft rund um die Uhr. Schon für geringfügige Fehler werde ihm der Bonus gekürzt, berichtet Liu, und der mache zwei Drittel seines Lohns aus. Er werde dann vom Chef vor allen Kollegen seines Teams zur Rede gestellt.

Es gibt einen zentralen Begriff in der Chipindustrie: die yield rate. Sie beschreibt, wie viele Chips auf einem Wafer tatsächlich funktionsfähig sind. Je höher die yield rate, desto effizienter ist der Prozess. TSMCs yield rate gilt als Maßstab in der Branche, weil das Unternehmen höhere Anforderungen an die Genauigkeit seiner Produktionsmaschinen hat. Höhere als die Hersteller dieser Maschinen selbst, sagt Liu

Die britische BBC hat die Chipherstellung einmal mit Spitzengastronomie verglichen: Viele haben das gleiche Rezept. Nur wenige können es meisterhaft umsetzen. Die Herstellung von Mikrochips ist Fleißarbeit. Und die Arbeiter bei TSMC sind gut darin.

Wenn kurz vor Schichtende ein Fehler entdeckt wird, muss Jason Liu länger bleiben, Berichte schreiben, verhandeln und alles wieder so aufsetzen, dass die welthöchsten Standards eingehalten werden. Diese Gründlichkeit ließ TSMC zum führenden Chiphersteller der Welt werden; und sie ist auch der Grund, warum Jason Liu fast immer Überstunden macht.

Die Firma

Eine Autostunde südwestlich der Hauptstadt Taipeh: Die Häuser werden kleiner, das bunte und laute Stadtleben von Taipeh schwindet mit jedem Kilometer. Industriegebiete stehen am Rand der Autobahn. Hsinchu gilt als das Silicon Valley Taiwans, aber es wirkt ganz anders als jenes in Kalifornien. Kaum Cafés oder Bars, schmale Straßen. Bis auf das Rattern der Mofas ist die Stadt fast still. Hsinchu wirkt wie ein Rechenzentrum in Stadtform.

TSMC ein offizielles Interview abzuringen, gelang erst nach Wochen und unzähligen penetrant-freundlichen E-Mails, Telefonaten mit Pressestellen in drei Ländern und vielen Terminvorschlägen. Die Zusage kam in letzter Minute.

Eine irrsinnige Idee

Wer das Unternehmen besucht, muss Ausweis, Handy und Laptop abgeben. Nicht einmal ein Audioaufnahmegerät darf mit in den Interviewraum: nur Stift und Papier. Der Interviewraum hat etwas von einer Rumpelkammer. In den Ecken liegen alte Bürostühle ineinander verkeilt, nebenan verstauben Tische mit Medaillen und Urkunden, dunkles Holz und wenig Licht.

Wenig repräsentativ. Aber darum geht es auch nicht.

"Wir brauchen die allgemeine Öffentlichkeit nicht", sagt Pressesprecherin Nina Kao im Interviewraum, "wir sind ein B2B-Unternehmen. In der Industrie kennt uns jeder."

Was ist das Geheimnis, Frau Kao? Das sei die "trinity of strength", sagt sie, ohne nachzudenken, die "Dreifaltigkeit der Stärke": Technologie­führerschaft, Fertigungsexzellenz und das Vertrauen der Kunden. Die Marketingbotschaft ist sorgfältig gewählt, auch die im westlichen Kulturraum naheliegende Assoziation mit der christlichen Dreifaltigkeit ist wohl kein Zufall. Eine Einheit in drei Gestalten – das klingt groß. Das Vertrauen der Kunden liege am Geschäftsmodell, erklärt Kao: TSMC baut keine eigenen Produkte; es produziert die Chips, die Kunden, wie zum Beispiel Apple, designen. Man mache den eigenen Kunden also keine Konkurrenz. Das nennt Kao "the beauty of the business model".

Die Arbeitsbedingungen seien möglicherweise herausfordernd, aber die Mitarbeiter arbeiteten gerne bei TSMC, sie seien stolz auf ihre Arbeit.

Aus dem Management habe sich leider niemand gefunden für ein Interview. Die Pressestelle gibt sich aber alle Mühe, die Verschwiegenheit auszugleichen. Nach dem Interview führt ein Mitarbeiter durch das "Museum of Innovation". Das Publikum besteht offenbar aus Kunden und Zulieferern, und natürlich geht es nicht um Innovation allgemein, sondern um TSMC. "Die Schönheit des Businessmodells" ist aus einer Ecke zu hören – ein Museumsguide nutzt wortgleich die Floskel der PR-Managerin.

Im Museum gibt es einen ganzen Flügel für einen, den sie hier nur "den Gründer" nennen: Morris Chang. Chang ist eine legendäre Figur in der Techszene. Chang, der in China geboren und nach Hongkong ausgewandert ist, hat in Harvard, Stanford und am MIT studiert, bevor er in den Achtzigerjahren nach Taiwan zog, um die gerade geborene Halbleiterindustrie zu stärken. 1987 schließlich gründete er TSMC. Mittlerweile ist er 94 Jahre alt und schwebt wie ein Geist über allem. Bis heute werde keine wichtige Entscheidung ohne sein Einverständnis getroffen, sagen Insider. Das Hauptgebäude von TSMC ist nach ihm benannt.

Morris Chang ist für DIE ZEIT nicht zu sprechen, er gibt kaum internationale Interviews. Im Museum ist er auf einem Video zu sehen. Schwarzes Jackett, rote Krawatte, weiße Haare, er thront auf einer riesigen Videoleinwand über den Köpfen der Besucher, hinter ihm ein Sofa aus weißem Leder, eine riesige Fensterfront, ein expressionistisches Blumengemälde. Besucher können über ein Tablet eine Frage auswählen. Chang beantwortet sie dann im Video. "Wie bekommen Sie die Work-Life-Balance hin?" lautet eine der Fragen, die offenbar viele interessiert. Chang antwortet so, als könne er die Frage nicht wirklich verstehen. Das könne jeder, man müsse es nur machen. Er selbst nehme sich einfach vor, wie viel Zeit er mit Arbeit, Familie oder Freunden verbringt. "Wenn Sie Ihre Zeit gut einteilen und entschlossen sind, wird Ihnen die Work-Life-Balance gelingen."

Morris Chang gehört zu einer Gruppe, die im ganzen Land nur "die Pioniere" genannt werden. Eine kleine Gemeinschaft von Ingenieuren und Geschäftsleuten, die die Halbleiterindustrie praktisch im Alleingang nach Taiwan geholt haben. Sie werden fast wie Heilige verehrt.

Dabei ist Morris Chang eigentlich gar nicht der echte Pionier.

Das ist Chintay Shih.

Der Pionier

Der Mann, der die Halbleiterindustrie nach Taiwan brachte, trinkt seinen Kaffee schwarz. Chintay Shih, 79 Jahre alt, ist schmal, sein Haar kurz und grau, er trägt eine randlose Brille und ein hellblaues Hemd. Er schlägt als Treffpunkt ein Museumscafé vor, das im einstigen Wohnhaus eines Wirtschaftsministers aus den Siebzigerjahren eingerichtet ist. An den Wänden hängen Fotografien aus der Zeit, als "Made in Taiwan" noch wie ein Codewort für schlecht funktionierende Billigprodukte klang. Das Museum erzählt, wie sich das änderte.

Shih sagt, er sei in einem Fischerdorf aufgewachsen, er sei Jahrgangsbester in der Schule gewesen. Er wollte das Abenteuer, und die einzige Chance, das Abenteuer zu finden, sei damals gewesen, sehr weit zu reisen: "Nach Amerika." Als Shih mit Anfang 20, im Jahre 1969, über den Pazifik flog, um in Princeton Elektrotechnik zu studieren, da hatten die Amerikaner gerade den ersten Menschen auf den Mond gebracht. "Ich war schockiert", erinnert sich Chintay Shih, "Amerika musste so ein fortschrittliches Land sein." Vom Flugzeug aus sah er, das weiß er noch, die Lichter der Stadt in der Nacht. Der Campus in Princeton habe sich angefühlt "wie ein Schloss".

Taiwan dagegen: "Taiwan war dunkel", sagt Shih. Ein Land von Bauern und einfachen Arbeitern, das vom Export von Zucker und T-Shirts lebte. Die Vereinigten Staaten zahlten Wirtschaftshilfe, um Taiwan als Bollwerk gegen die sozialistische Volksrepublik China aufzubauen. Mitte der Sechzigerjahre stellten sie die Förderung ein. Neue Ideen mussten her.

Die taiwanische Regierung entwickelte eine Vision: Halbleiter sollten die Zukunft sein. Die eigentlich irrsinnige Idee war, einen ganzen Industriezweig aus dem Boden zu stampfen.

Als ersten Schritt hatte man die Radio Corporation of America, RCA, für eine Kooperation gewonnen. Der Konzern stellte Radios und Fernseher her, war aber auch stark in der Halbleiterforschung.

Taiwanische Ingenieure sollten in Amerika geschult werden und schließlich die Halbleitertechnologie nach Hause bringen. Die Regierung schickte Chintay Shih mit seinem Princeton-Diplom und einer Gruppe Ingenieure in die Vereinigten Staaten. Junge Nerds mit großen Hornbrillen und karierten Krawatten, die meisten frisch von der Uni, "ich mit meinen zwei Jahren Berufserfahrung war einer der Ältesten", erinnert sich Shih.  Es wurde eine Art sehr lange Klassenreise.

Die Ingenieure lebten wie in einer Studenten-WG, schnitten sich gegenseitig die Haare, manche machten nebenbei den Führerschein, um dieses riesige fremde Land zu erkunden. Einmal besuchten einige von ihnen einen Vergnügungspark, und Shih hielt ihnen hinterher eine Standpauke. "Was da hätte alles passieren können!" Die Truppe war die Zukunft Taiwans, es gab kein Back-up. Ein Unfall, und ein wichtiger Teil des Wissens wäre verloren gewesen. Immer wieder meldeten sich Minister der taiwanischen Regierung bei der Delegation. "Sie sagten: Scheitern ist keine Option", erinnert sich Shih. Es musste gelingen.

Was für Taiwan damals die einzige Hoffnung war, war für RCA vor allem Resteverwertung: Der Konzern war in der Halbleiterentwicklung damals gerade von Intel überholt worden. RCA konnte nicht mehr mithalten, also verkaufte es jetzt sein Wissen an die Taiwaner.

In den Kinos in Taiwan wird derzeit ein Film über den Aufstieg der Chipindustrie gezeigt (A Chip Odyssey), in dem einige der damaligen Pioniere interviewt werden. Einer erzählt, dass sie die ganze Zeit vor Augen gehabt haben, wohin der Erfolg führen kann. Sogar einfache Arbeiter hätten in den USA "ein schönes Haus, eine Klimaanlage und einen Kühlschrank" gehabt. "Es fühlte sich an, wie eine richtige Mission." Dann kommen ihm die Tränen.

Die ganze Geschichte war voll von Rückschlägen. Die Hersteller der Produktionsmaschinen weigerten sich anfangs, Maschinen nach Taiwan zu verkaufen: zu weit weg. Als die Regierung allen Widerständen zum Trotz ein erstes Demonstrationswerk in Taiwan errichtet hatte, fand man keine Investoren für eine richtige Fabrik. Alles Geld steckte in der Textilindustrie. Eine Chipfabrik hingegen, in der riesige Maschinen winzige Teilchen an der Grenze zur Unsichtbarkeit produzierten: "Das hat niemanden überzeugt", sagt Shih. 

Wieder musste die Regierung einspringen, Investoren überzeugen, selbst fördern, bis schließlich im Mai 1980 tatsächlich der erste Mikrochiphersteller im Hsinchu Science Park eröffnete: UMC, United Microelectronics Cooperation. Profitabel wurde die Chipfertigung aber erst, nachdem vier Jahre später der Telefonmarkt in den USA dereguliert worden war: Kunden durften sich Telefone frei aussuchen, es entstanden Dutzende neue Hersteller, und alle brauchten Mikrochips.

Ein paar Jahre später gründete Morris Chang TSMC, die zweite und heute größte Chipfabrik Taiwans. Sie designte von Anfang an keine eigenen Chips, sondern setzte Designs ihrer Kunden um – eine Strategie, die später Schule machte. Nur deshalb gibt es heute Firmen wie Nvidia, die überhaupt keine eigene Chipproduktion haben, sondern sich auf TSMC als Auftragsfertiger verlassen.

Chintay Shih, damals Projektleiter bei UMC, spricht über sich selbst damals wie über ein anderes, irrationales, unvernünftiges Ich. "Es war ein Glücksspiel", sagt er. "Zocken um unsere Zukunft."

Was ist das Geheimnis? Unvernunft? Nein, sagt Shih: Realismus. Taiwan habe damals keine andere Wahl gehabt, als das zu nehmen, was übrigblieb. Dass die Branche vor allem für andere Firmen produziert und nicht selbst Chips designt, das habe sich schon damals abgezeichnet, sagt Shih. "Wir sind nicht gut darin, neue Dinge zu entwickeln." Man habe das genommen, was übrigblieb. Die Fleißarbeit. 

In Hsinchu hört man immer wieder eine Anekdote: Wenn in der Region eine Taifun- oder eine Erdbebenwarnung ausgegeben wird, dann sei auf Google Maps rund um den Hsinchu Science Park Stau zu sehen. Und zwar nicht, weil Menschen nach Hause fahren, um Schutz zu suchen. Sondern weil sie sich auf den Weg ins Werk machen, um die Maschinen neu zu kalibrieren und sicherzustellen, dass mögliche Erschütterungen die Produktion nicht gefährden. 

Ein Brancheninsider sagt, dass Angestellte von Chipfirmen rund um die Uhr erreichbar seien, das sei eine kulturelle Frage und anderswo nicht möglich. Hinter dieser Bereitschaft stecke kein Druck, sondern das Gefühl, zu etwas Wichtigem beizutragen. "Wir leben dafür."

Doch genau dieser Ansatz bedroht nun TSMC.

Die Ehefrauen

Die Gruppe Mütter und Kinder sieht aus, als sei sie versehentlich an diesen Ort gebeamt worden. Sie passen nicht ganz in diese Welt voller junger Männer, die selbst hier, beim Mittagessen, Hefte und Tablets vor sich liegen haben und lernen. Die National Yang Ming Chiao Tung University in Hsinchu ist einer der Orte, an denen die Chipindustrie nachwachsende Arbeitskraft abschöpft. Sie ist Teil des "Ökosystems", das viele Gesprächspartner als essenziell bezeichnen, und sie gehört zu den Geheimzutaten: Fünf Universitäten gibt es allein in Hsinchu, sie haben Spezialstudiengänge rund um die Halbleiterindustrie aufgebaut.

Auch viele der heutigen Ingenieure von TSMC haben sich hier in diesem Café an der Uni wohl einst auf Prüfungen vorbereitet. Heute trifft sich eine Gruppe namens "Mama Team Up". Es sind Ehefrauen von Ingenieuren im Science Park, die alle das gleiche Problem haben: Ihre Männer sind so gut wie nie zu Hause. "Wir haben uns zusammengetan, weil wir allein verzweifelten", sagt Gründerin Shirley Kao und schiebt drei Tische zu einer langen Tafel zusammen. In einer Ecke steht ein Kinderwagen, ein anderer an der Tür, eine Mutter hat ihren Dreijährigen auf dem Schoß und teilt ein Toastbrot. Ein etwa gleichaltriges Mädchen baut einen Turm aus Bauklötzen. Drumherum sitzen acht Frauen verschiedenen Alters und tauschen sich über ihre Erfahrungen in Hsinchu aus.

Die meisten der Mütter sind nach Hsinchu gezogen, weil ihre Männer hier einen Job fanden. Sie fühlen sich allein, eine berichtet von einem Burn-out. Die Väter seien für die Familie nie, aber für die Unternehmen permanent erreichbar, müssten immer wieder mitten in der Nacht wegen Notfällen ins Werk oder sogar ins Ausland, "wir wissen nie, wann sie wiederkommen". Die Kinder zusammen mit anderen Müttern zu betreuen, das sei wenigstens eine Unterstützung. Und man fühle sich nicht mehr so allein mit den Problemen.

Auf die Chipindustrie sind sie schlecht zu sprechen, obwohl ihre Männer viel Geld nach Hause bringen. Sie erzählen von Streit und zerrütteten Beziehungen. "Abends und am Wochenende will mein Mann nur fernsehen und Alkohol trinken, weil er zu erschöpft ist", sagt eine der Frauen. Ihre Söhne sind fünf und acht Jahre alt, und vor der Schwangerschaft habe sie selbst in der Chipindustrie gearbeitet. Aber das sei eine "Männerwelt", und es sei als Familienmodell nicht tragbar gewesen, wenn beide arbeiten. "Ich hoffe, dass meine Kinder nicht in Hsinchu bleiben", sagt sie. Die Chipindustrie habe das Leben in Hsinchu eindimensional gemacht. "Es scheint, als sei das einzige Ziel für Kinder, Ingenieur zu werden." 

In der Tat wirkt die ganze Stadt, als sei sie für die Bedürfnisse der Chipindustrie gebaut worden. "Wie, abends ausgehen?", fragt ein Interviewpartner. "Das geht hier nicht." Ab 20 Uhr sei alles geschlossen. Nach langer Suche findet sich tatsächlich nur genau eine Bar, die länger geöffnet ist. Es sind zwei Tische besetzt.

Wenn man den Ingenieur Jason Liu fragt, ob er stolz auf seine Arbeit ist, darauf, dass er zum Erfolg seines Heimatlandes beiträgt, sagt er: "Vor allem bin ich müde."

Er wurde noch vom Studium von TSMC abgeworben, zusammen mit vielen seiner Mitstudierenden. Seine Familie sei stolz auf ihn, sagt er. Aber seine Frau und seinen kleinen Sohn sieht er wegen seiner 80-Stunden-Wochen und den wechselnden Schichten nur selten. Meistens schläft das Kind – oder er.

Wer Jason Liu zuhört, könnte zu dem Schluss kommen, dass die geheime Zutat von Taiwans Chipbranche der Fleiß der Mitarbeiter ist. Oder Ausbeutung. Ein Wort fällt immer wieder in der Recherche: Obedience. Gehorsam, Gefügigkeit. "In Europa würde niemand so arbeiten", sagen mehrere Interviewpartner.

Und auch in Taiwan geht diese Geheimzutat offenbar langsam aus. Jason Liu möchte noch einige Jahre bei TSMC bleiben, finanziell unabhängiger werden, denn die Bezahlung sei gut: Umgerechnet rund 100.000 Euro verdiene er im Jahr. Sechsmal mehr als bei einem Autozulieferer, bei dem er vor seinem Masterabschluss arbeitete. Aber auf gar keinen Fall möchte er in der Branche alt werden. "Alle sind erschöpft." 

Viele derjenigen, die einst mit ihm angefangen haben, sind schon wieder weg.

Der Nachbar

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Eine neue Generation, die nicht bereit ist, es ihren Eltern gleichzutun und die Arbeit über das Leben zu stellen.

Die Frage ist nur, ob Taiwan sich das leisten kann.

Denn im Nordwesten der Insel liegt China, die riesige Volksrepublik. Und dort passiert das, was in den Siebzigerjahren in Taiwan passierte. Die chinesische Regierung investiert weit jenseits des scheinbar Vernünftigen in die Chipproduktion. Die Kommunistische Partei schüttet Milliarden in Werke, Subventionen und Forschung. Weil China wegen internationaler Sanktionen keinen Zugang zu modernsten Produktionsmaschinen bekommt, setzt man auf eine ältere Technologie. Solche sogenannten ausgereiften Chips gehören nicht zur 2- oder 3-Nanometer-Generation, sie stecken nicht in iPhones oder hinter den neuesten Chatbots, aber fast in allen Geräten, vom Auto über die Waschmaschine bis zur Robotersteuerung.

Während die etablierten Chipriesen wie TSMC bislang zwischen 30 und 50 Prozent ihres Gewinns reinvestieren, liegen chinesische Firmen heute bei 80 bis 140 Prozent. Das sei ökonomisch absurd, sagt ein taiwanischer Industrieinsider, aber strategisch brillant.

Aktuell produziert Taiwan rund 45 Prozent aller sogenannten reifen Chips weltweit, China etwa 30. Doch bis 2027, so die Prognosen, wird sich das Verhältnis drehen: China steigt auf 47 Prozent, Taiwan fällt auf 36. Ein Machtwechsel in Nanometern. Und irgendwann wird China sich dann an die Produktion der High-End-Mikrochips machen. So wie Taiwan damals.

"Wenn wir jetzt nicht aufpassen, kauft die Welt ihre Chips in Zukunft in China", sagt einer aus der Branche. Er malt nicht weiter aus, was das für Taiwan bedeuten würde. Zum Geheimnis, wie Taiwan zum Chipwunderland werden konnte, gehört auch: genug Verzweiflung.