Eva Wolfangel

Plus Update Sommer und Pläne im Herbst

 

Ende September sind zwei der Themen unerwartet zusammen gekommen, die mich das ganze Jahr über immer wieder beschäftigt haben: Investigative Recherche und Künstliche Intelligenz. Nämlich auf der Global Investigative Journalism Conference in Göteborg, auf der es in jedem Timeslot immer mindestens drei oder vier spannende Themen gleichzeitig gab - es war so hart, eine Entscheidung zu treffen! Im letzten Slot, direkt vor meiner Abreise, tat ich mir besonders schwer. Sollte ich den Workshop „Google for Nerds“ belegen und all die Kniffe lernen, die mich noch erfolgreicher googeln lassen? Es gibt nämlich jede Menge Tricks, die in IT-Kreisen oft als Google Dorks bezeichnet werden, mit denen sich Informationen zutage fördern lassen, die nicht immer für die Öffentlichkeit gedacht sind. (Hier ist ein sehr guter Artikel über Google Dorks im Kuketz-Blog.)

Oder sollte ich lieber „Open Source Reporting“ belegen – wo es zwar ebenfalls darum gehen sollte, Informationen aus dem Internet zu fischen, aber „brand new insights“ versprochen wurden, wie man dafür KI nutzen könne.

Irgendwie dachte ich: Über KI kann ich wahrscheinlich nicht mehr viel Neues lernen. Und eigentlich hatte ich mir mal vorgenommen, bei Branchenkonferenzen immer jene Workshops zu belegen, die weiter weg sind von meinen Kernthemen (weil es meistens zu wenig Neues gibt, wenn ich mich mit einem Thema schon auskenne.)

KI ist besonders verschärft: Ich schreibe seit mehr als zehn Jahren über KI und hatte eigentlich das Gefühl, dass ich jetzt alles (mehrmals) geschrieben hatte - als ChatGPT um die Ecke bog. Ich muss zugeben, erst war ich ein wenig frustriert als klar wurde, dass ich gewissermaßen dazu verdammt sein würde, das Thema nun doch weiter zu behandeln, weil es für mich nichts Neues zu geben schien. (Ja, auch große Sprachmodelle gibt es schon länger…).

Aber inzwischen habe ich doch einiges Neues und sehr interessantes entdeckt und unter anderem darüber geschrieben, ob und wie man Sprachmodelle zur Wahrheit erziehen kann, wie man sie für Cyberangriffe nutzen kann und was andere Übeltäter damit machen - und wie nah wir an der Superintelligenz sind. Außerdem begleite ich Forschende, die versuchen, menschenähnliche künstliche Intelligenz zu erzeugenund sich dabei die Zähne ausbeißen – wobei sich allerdings auch die Frage stellt, ob wir Menschen überhaupt so besonders sind, wie wir gerne denken.

 Und natürlich verfolgt mich das große Thema KI und Journalismus – nicht nur in Form von Artikeln über wilde Google-Phantasien und eine „Innovation“ des Springer-Verlags, der sich mit einem ChatGPT-Plugin für die „Welt“ rühmt, das munter News erfindet. Sondern auch in Form von vielen Workshops und Vorträgen (unter anderem für den MDR, den Berliner Lokaljournalismus-Kongress und viele weitere - siehe unten).

Ich hatte sogar schon versucht, ChatGPT für die Recherche zu nutzen. Natürlich nicht als Google-Ersatz – denn wir wissen ja, dass der Chatbot halluziniert und man sich nicht darauf verlassen kann. Wo es aber großes Potential hat: als Hilfe bei der Datenauswertung, noch genauer: für die Suche nach passenden Methoden und Code-Schnipseln.

Denn das ist das andere Thema, das mich in der ersten Jahreshälfte sehr beschäftigt hat: Wir kann ich (selbst!) spannende Informationen aus großen Datenmengen extrahieren? In der Vergangenheit habe ich immer wieder argumentiert, dass Datenauswertung eine eigene Disziplin ist und dass es sinnvoller ist, in solchen Fällen ein Kooperation einzugehen (und beim DebateExplorer habe ich das ja auch gemacht – unser Projekt, in dem wir mittels maschinellen Lernens Parlamentsprotokolle ausgewertet haben). Aber erstens ist das aufwendig, zweitens braucht man dafür extra Geld und drittens ändern sich die Zeiten: Intuitivere Programmiersprachen verbreiten sich – und ChatGPT gibt erstaunlich bereitwillig Programmiernachhilfe.

Der Anlass war diesmal: Wir hatten wir Zugang zur streng geheimen US No-Fly-List bekommen:  Darin sind tausende Namen von Menschen, die nicht in die USA reisen dürfen. Angeblich weil sie terrorismusverdächtig sind. Die Liste – bzw der Teil, den wir bekamen – beinhaltet Millionen Zeilen mit Namen und Geburtsdaten. Und mehr aber auch nicht. Wir wollten die Geschichten in der Liste finden, aber dafür musste man die Daten irgendwie auswerten. Nur wie? Eine wilde Sammlung von Namen ohne jede Sortierung?

Am Ende habe ich auf alle erdenklichen Arten versucht, habe Google Dorks ebenso benutzt wie zufällige Reisen durchs Netz von einem Hinweis zum nächsten; LinkedIn erwies sich als sehr hilfreich, aber auch klassisches Anrufen bei Menschen mit gleichen Namen wie jenen, die ich in der Liste gefunden hatte. Und wir haben Geschichten gefunden!

Was aber nur fast funktioniert hat: ChatGPT jenen Code zu entlocken, um die Daten nach bestimmten Kriterien auszuwerten. „Ich habe eine endlos lange Liste an Namen und ungeschickt formatierten Geburtsdaten – wie kann ich die Kinder herausfiltern?“ war beispielsweise einer meiner Fragen. Es hat wirklich fast geklappt, aber eben nicht ganz. Weil meine Programmier-Kenntnisse dafür nicht ausreichend waren. (Deshalb habe ich mich dann für eine legendäre kostenlose Programmierschule beworben – das nächste Rabbithole – aber das ist eine ganz eigene längere Geschichte.)

 Ja und dann habe ich mich also auf der Weltkonferenz des Investigativ-Journalismus schließlich doch für den KI-Workshop entschieden, entgegen meiner eigenen Prinzipien. Ehrlich gesagt vor allem, weil ich nach zwei Tagen Konferenz kaum noch aufrecht gehen konnte, und weil jemand meinte, der Referent sei ein unterhaltsamer Redner. Und das ist ja auch was wert.

Um dann verblüfft festzustellen, dass ich doch etwas Neues über KI lernen kann – auch wenn ich schon auf der richtigen Spur war: Denn der Referent führte sehr unterhaltsam vor, wie er all seine Fragen von ChatGPT beantwortet bekam. Ein Twitter-Bio-Foto ist zu klein – repariere das! Wie kann ich nach E-Mail-Adressen im Netz suchen? (und ja, auch da kamen Tricks zur Sprache, die nicht nur ich noch nicht kannte – die Mehrheit des Publikums stöhnte begeistert auf).

Sogar wie man LinkedIn über Umwege nutzen kann, um Menschen zu finden, von denen man nur die E-Mail-Adresse hat. Und: Versteckte Dokumente, die Adressen von Menschen beinhalten, von denen man nur den Namen hat. ChatGPT hat bereitwillig Google-Formeln und Dorks ausgespuckt und lauter andere Tricks, die manch erfahrene Investigativ-Journalistinnen vermutlich kennen. Der Referent meinte, mit diesem Workshop mache er sich wohl überflüssig. Das denke ich auch. Und ich vermute, dass es nächstes Mal auch keinen Workshop „Google for Nerds“ mehr geben wird.

 

Termine im September und Oktober

Und wie immer hier die Veranstaltungen und Termine in nächster Zeit – und wie immer auch der Aufruf: meldet euch, wenn ihr in der Nähe seid. Ich freue mich immer über Treffen im echten Leben!

Am Mittwoch, 27.9., tausche ich auf derMedia Tech Hub Conference in Potsdam unter dem Titel „Is there a future for journalism?“ mit Richard Gutjahr ein paar provokative Thesen aus zum Thema KI und Journalimus.

Am Freitag, 29.9., spreche ich auf der SciCar-Konferenz in Dortmund daüber, wo KI tatsächlich relevant ist für Öffentlichkeit, Wissenschaft und Journalismus - und welche Fails der Hype mit sich gebracht hat.

Am Dienstag, 10.10., spreche ich auf dem Herrenberger Digitalgipfel über Cybersecurity in Herrenberg.

Am Dienstag, 17.10. halte ich eine Keynote auf der Future Media Now Conference in Berlin unter dem Titel „KI und Journalismus - der Beginn einer großartigen Freundschaft?" (bezeichnenderweise direkt nach der Rede über Auswirkungen von KI auf Journalismus von Christoph Keese von Axel Springer, deren ChatGPT-Plugin ich ja zerlegt und für untauglich befunden habe. Das wird lustig :)

 Am Donnerstag, 19.10., halte ich eine Keynote zum Thema auf dem Schmerzkongress in Mannheim mit dem Titel  „Wie KI unser Leben und die Medizin verändert - und was für den Menschen bleibt“

Am 26. und 27. 10. findet der History Filmmakers Congress in Halle statt, für den ich ein Panel organisiert habe und moderieren werde mit dem Titel: "Threat or Benefit? AI, the unconscious, and the reshaping of history" Falls ihr Journalist:innen, Filmemacher:innen und ähnliches seid: Überlegt euch, diesen Kongress zu besuchen. Er findet zusammen mit dem Silbersalz Science and Media Festival statt, was auch immer ein großes Highlight ist!